Zurück | Weiter | Bertelsmann Hauptseite

C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh

Linie

Kapitel 5: Politisch suspekt 1934-1944

 
Als Verlag der "Bekenntnisfront" unter Observation — Ausschnitt aus einem geheimen Bericht des Sicherheitsdienstes über die deutsche Verlagslandschaft vom März 1937.

 

Linie

Mit dem Stigma des theologischen Verlags

Konflikte mit Behörden gehörten zum Alltag im Buchhandel des Dritten Reichs. Selbst der Zentralverlag der NSDAP konnte Beanstandungen erfahren — mit Lappalien wie mit Tim Tollpatsch einem humoristischen Buch, das der Münchner Verlag 1943 an die Front verkaufen wollte und das bei der Militärzensur im Propagandaministerium als Verunglimpfung jedes Armeeangehörigen beanstandet wurde.

Ein alteingesessener theologischer Verlag war dagegen durchaus prädestiniert, den Anstoß der Zensurbehörden im Dritten Reich zu erregen. In der evangelischen Kirche tobte der Kirchenkampf zwischen Deutschen- und Bekenntnis-Christen. Dem neuen Regime war die eine wie die andere Front kein rechter Allianzpartner. Kirchlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus galt es frühzeitig zu zerschlagen. Eine freundliche Unterwanderung des Nationalsozialismus schien dagegen fast noch gefährlicher als die offene Opposition aus Kirchenkreisen, die sich doch sogleich als Minderheitenposition ausmachen ließ. Da stellten Verlage, die zuvor mit dem Staat des 19. Jahrhunderts gemeinsame Sache gemacht hatten und den Nationalsozialismus als populistische Bewegung abgetan hatten, und da stellten kirchliche Verlage, die den Nationalsozialismus als atheistische Bewegung, wenn nicht neuheidnische Religion gebranntmarkt hatten, sich unter geschickter Ausnutzung von Parteibeziehungen unter den Schutz des neuen Regimes und gaben heraus, was jetzt angesagt sein mochte, um sich auf diesem Wege auch noch Vorteile gegenüber treuen Verlagen aus dem Kampfzeit des Nationalsozialismus zu verschaffen. Gänzlich unakzeptable erschien es, daß solche Verlage sich zuweilen auch noch anmaßten, die Linie der Partei zu vertreten und diese dabei als christlich fundierte ausgaben. Bertelsmann tat sich auf beiden Fronten der Subversion hervor mit Publikationen wie dem "Tecklenburger Bekenntnis" (Neue Kirche im neuen Staat, 1933), die in den Kreisen der Bekennenden Kirche Anerkennung suchten, und mit Anverwandlungen des Nationalsozialismus wie dem Kleinen Katechismus für den Braunen Mann (1934), der unterstellte, daß der SA-Mann noch mit Luther auf Mission ging. Erste Zensurmaßnahmen trafen den theologischen Fachverlag noch 1934 – der Katechismus für den braunen Mann befand sich unter den verbotenen Büchern –; im Sicherheitsdienst, der für das Propagandaministerium die Verlagslandschaft observierte, stand noch 1937 fest, daß Bertelsmann zu den regimekritischen Verlagen der "Bekenntnisformt" gehörte.

Bei Bertelsmann reagierte man nicht nur auf die Zensur-Maßnahmen. Weit mehr war man mit der Frage beschäftigt, wie die jüngst begonnene belletristische Produktion zu gewinnträchtigen Titeln fand. Das Unternehmen wagte sich soeben in die Produktion von Kriegserlebnisbüchern und dies mit einem riskanten Investitionsvolumen. Es sollte einige Jahre dauern, bis man in München und Berlin begriff, daß die Gütersloher hier nicht nur eine schamhaft vorangetragene Alibi-Produktion aufbauten, unter der sie heimlich die Theologie förderten. Bertelsmann legte es, wie sich mit dem Krieg herausstellte, durchaus darauf an, zum Giganten in dieser Produktion zu werden.

Heinrich Mohn reagierte darum im Frühjahr 1939 mit aller Entschlossenheit auf die "Amtliche Bekanntmachung Nr. 133 der Reichsschrifttumskammer" nach der sich alle Verlage, die auch nur im Nebengeschäft theologische Schriften vertrieben, als konfessionell gebundene ausgeben mußten. Im benachbarten Wuppertal erwarb er den Verlag Der Rufer, um die verbleibende theologische Produktion des Hauses Bertelsmann auf diesen zu übertragen. Die Unterstützer des kleinen Unternehmens sahen den Schachzug mit Schrecken, denn es sah nicht eben danach aus, als würde sich Mohn für den erworbenen Verlag besonders einsetzen wollen, sollten denn als nächstes alle theologischen Verlage geschlossen werden.

Die behördliche Regelung versandete vorerst in den Wirren der Kriegsvorbereitung — und auch dies war typisch für das neue Regime: Es erließ Bestimmungen und Regelungen, konfiszierte Bücher und schloß Verlage und blieb bei alledem inkonsequent und willkürlich tätig. Man tat gut daran, sich Fürsprecher in diesem Regime zu suchen, die man im Bedarfsfall anrief und die dann ihrerseits wieder an nötiger Stelle ein Signal gaben, auf das hin, sich erst einmal gar nichts änderte. Bertelsmann erwarb im Mai 1939 den Rufer-Verlag — Mohn machte jedoch keine weiteren Anstalten, die theologische Produktion bei Bertelsmann in das neue Unternehmen auszugliedern. Alles lief so weiter wie zuvor und Bertelsmann gab sich durchaus nicht als "Evangelischer Verlag" aus in den Impressa zu den Neuausgaben von Thor Goote und Herbert Volck, der fast atheistischen Avantgarde des Nationalsozialismus.

 

Linie

Zensur als Teil des verlegerischen Berufsalltags im Dritten Reich

Man konnte sich im Verlag ausrechnen, warum dieser oder jener theologische Titel verboten wurde. Noch klarer war, daß natürlich alle militärisch relevanten Details in Büchern über den aktuellen Krieg einer militärischen Vorzensur unterzogen werden mußten. Auf der anderen Seite wird nur in Insiderkreisen klar geworden sein, in welcher innenpolitischen Intrige sich Herbert Volck das Genick brach — ein Autor, der für den Nationalsozialismus geschrieben hatte, in dubiose Machenschaften der Spionageabwehr verwickelt war und Ambitionen auf einen hohen politischen Posten im Bereich der Geheimnisträger hatte, die ihn, soweit es rückblickend ersichtlich ist, mit Reinhard Heydrich persönlich in Konflikt brachten. Volcks seit 1939 bei Bertelsmann erscheinende politische Kampfromane wurden 1942 verboten, er selbst kam noch 1944 im Konzentrationslager Buchenwald ums Leben.

Zwischen diesen Polen lag eine Zensur leidigen Berufsalltags, die mehr oder minder klar politischen Entwicklungen folgte. 1938 kam Hans Grimms Englische Rede bei Bertelsmann heraus. Der Text, den Grimm persönlich im Ausland vorgebracht hatte, war mit dem Außenministerium abgestimmt — die politische Implikation war so klar wie heikel: Deutschland kündigte unterschwellig an, sich Raum im Osten zu erobern und bat England, in diesem Fall stillzuhalten. Die nationalsozialistische Regierung hatte 1938/39 eigenen Grund, sich nicht zu offensichtlich hinter das verklausuliert vorgebrachte Ersuchen zu stellen, es gerade als offen ausgesprochene im Raum stehen zu lassen. Die Rezensenten warteten auf ein Wort der Parteiamtlichen Prüfungskommission, das sie darüber aufgeklärt hätte, wie sie zum Grimms Rede stehen konnten und sollten. Grimm hatte sich den Engländern bei seinem Ersuchen freundlich genähert mit einem Lob, das man jederzeit auch als seine persönliche Kritik am wenig zimperlich agierenden aktuellen Regime lesen konnte. Man war sich bei Bertelsmann am Ende nicht sicher, ob sich das Regime noch hinter die Ausgabe stellen würde und reagierte erleichtert, als dies am 7.10.1939 noch verspätet geschah. Mit dem Krieg wurde die Rede dann zum Ladenhüter. Als am 24.7.1943 Beamte der Gestapo Münster/Bielefeld bei Bertelsmann vorsprachen mit der Auskunft, Grimms Rede sei aufgrund eines Erlasses des Reichssicherheitshauptamts vom 3.7.1943 wegen "unzeitgemäßer Verherrlichung Englands" vorläufig sichergestellt, da dürfte allenfalls der Zeitpunkt des Eingriffs noch verwundert haben — man hätte unter derselben Maxime das Werk bereits Ende 1939 vom Markt ziehen können.

Der Verlag wandte sich als erstes an seinen wichtigsten Ansprechpartner im Propagandaministerium, Rudolf Erckmann. Dieser bat darum, den Vorgang nicht weiter schwer zu nehmen. Grimm mußte informiert werden, und der erkundigte sich wiederum unsicher danach, was den die Termini "sichergestellt" und "beschlagnahmt" bedeuteten. Aus Mohns Antwort klang durch, daß Bertelsmann durchaus häufiger Besuch der Gestapo erhielt. Mohn riet Grimm noch, sich bei der Gestapo um die konfiszierten Exemplare zu bemühen, ändern ließ sich jedoch an dem Befehl, nachdem er aus Berlin kam, nichts. Die Sache hätte anders ausgesehen, wenn hier nur ein lokaler Gestapo-Trupp aktiv geworden wäre.

Man verbot Grimms Rede auf dem Höhepunkt des Krieges wegen unzeitgemäßer Parteinahme für den aktuellen Feind. Dasselbe Schicksal ereilten Heinz Gumprechts Magische Wälder — die Autorin, Friede H. Kraze, war 1936 zwar als glühende Verehrerin Hitlers gestorben, doch lasen sich ihre euphorischen Lobgesänge auf die russische Seele nicht mehr als zeitgemäß, seitdem der Krieg gegen die Sowjetunion als Krieg gegen den bolschewistischen slawischen "Untermenschen" geführt wurde. Politische Verhältnisse konnten sich wandeln. Eine Schrift, die zu einem bestimmten Zeitpunkt mit dem Nationalsozialismus noch übereinkam, konnte zu einem anderen ein Problem aufwerfen. Der Verlag reagierte in solchen Momenten gutberaten kooperativ.

 

Linie

Im innenpolitischen Geschiebe

Bertelsmann im Börsenblatt

Anzeige des Verlags C. Bertelsmann im Börsenblatt vom 25.10.1940
 
Anfang November gelangt zur Ausgabe Korvettenkapitän d.R. Fritz Otto Busch, Narvik. Vom Heldenkampf deutscher Zerstörer. Mit Geleitwort von Großadmiral Dr. h. c. Raeder. 1.-150. Tausend. 408 Seiten. Mit 100 Fotos und Gefechtsskizzen. Leinen RM 5.80. Nach Erlebnisberichten unserer Norwegen-Kämpfer ersteht hier in packenden Bildern der unsterbliche Wikingerzug deutscher Zerstörer nach Narvik. Nach tollkühner Sturmfahrt landen sie Gebirgsjäger, kämpfen selber sich opfernd gegen englische Übermacht bis zum letzten Torpedo. Die Überlebenden halten aber nach dem Tode ihres Kommodore Bonte in der Mondlandschaft eisiger Fjorde mit den Ostmärkern des Generals Dietl kampfreche Wacht, bis Bomber und im Seegefecht bei Jan Mayen deutsche Schlachtschiffe den endlichen Rückzug des Feindes aus Narvik erzwingen. — Das Buch erscheint in gediegener Ausstattung mit mehrfarbigem Schutzumschlag. C. Bertelsmann Verlag Gütersloh

 

Es ist nicht anzunehmen, daß der Verlag C. Bertelsmann nach 1935 noch bewußt die Publikation eines Buches riskierte, das womöglich den Anstoß der Behörden erregte. Das lag vor allem daran, daß das Unternehmen Ende der dreißiger Jahre seine Position im Regime-internen Gefüge längst gefunden hatte: die Position als Verlag der Wehrmacht und des Propagandaministeriums — auf diesen beiden Seiten versicherte man sich der Unterstützung bei allen größeren Vorhaben. Im Unternehmen gab man sich auf der anderen Seite keinen Illusionen darüber hin, daß man im selben Bündnissystem Feinde hatte. Das Dritte Reich war keine Institution schlicht von oben nach unten gerichteter Machtausübung. Die Literaturpolitik war gründlich zerfahren zwischen gegeneinander regierenden Blöcken — des Propagandaministeriums, der Partei, des Amtes Rosenberg, des Sicherheitsdienstes, der Reichsschrifttumskammer, des Wirtschaftsministeriums, das im Krieg über die Zuteilung von Rohstoffen entschied, und endlich der öffentlichen Stellen der Wehrmacht, der SS, der SA, der Organisation Todt und wie sie alle hießen, die auf dem Höhepunkt des Krieges über Rohstoffkontingente verfügend, begannen, eine eigene Schrifttumspolitik zu entfalten — in Allianzen mit den erwähnten institutionellen Blöcken, aber im Bedarfsfall auch an allen Behörden vorbei in illegalen bis korrupten direkten Kontakten zu Firmen, die Bücher liefern konnten.

Es ist unklar, wie in diesem Kräftefeld der vielleicht interessanteste Zensurfall einzustufen ist, in dem der Name Bertelsmann Bedeutung gewann. 1934 war die Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS.-Schrifttums, PPK, gegründet worden — anfänglich eine Abteilung im Lektorat des Zentralverlags der NSDAP, die die restliche Verlagswelt beobachtete, um auszuschließen, daß andere Verlage Publikationen als Parteischriften herausgaben, ohne daß dies mit der NSDAP abgestimmt war. Im Propagandaministerium rang man darum, die Zensur, bislang auf in Hoheit der Länder zersplittert, zu koordinieren, da entstand im Medienkonzern der NSDAP mit der PPK eine eigene Zensurstelle, deren Leiter, Reichsleiter Bouhler, eigenen Zugriff auf die Sicherheitsorgane einforderte. Im Propagandaministerium gab man sich kooperativ — die Arbeit mußte personell koordiniert werden. Karl Heinz Hederich, der zu dieser Aufgabe Ende der dreißiger Jahre zwischen beiden Institutionen beschäftigt wurde, spaltete jedoch mehr als er einte. Nach Attacken auf den Völkischen Beobachter und verfeindet mit dem Amt Rosenberg, nahm das Propagandaministerium 1939 von der ersten Option einer Zusammenarbeit Abschied. Es gab zwei konkurrierende Zensurstellen und eine Schrifttumspolitik, die den NSDAP-Verlag Eher ins Zentrum stellte und eine Schrifttumspolitik des Propagandaministeriums. Mit dem Krieg stellte sich die Lage dann neu dar: Zuerst wurde die Vorzensur für militärische Schriften eingeführt — sie fand im Propagandaministerium in Kooperation mit Armeefachleuten statt. Mit der Rohstoffverknappung griff ab 1942 diese Vorzensur auf die verbleibenden Bereiche des Druckhandwerks über: Um jeden sinnlosen Papierverbrauch zu verhindern, mußten alle Verlagsprojekte im Vorhinein genehmigt werden.

In dieser sich entwickelnden Lage unternahm Philipp Bouhler Anfang 1941 über Martin Bormann einen Vorstoß bei Hitler. Dieser gestattete es auf die Initiative hin der Parteiamtlichen Prüfungskommission, Bücher in eigener Initiative zu verbieten. Dem Propagandaministerium blieb eine dreiwöchige Einspruchsfrist eingeräumt. Im Goebbels-Ministerium reagierte man entsetzt: Hinten herum war es der konkurrierenden Zensurstelle gelungen, einen Erlaß von oben zu erwirken, der die gesamte Gleichschaltung des Zensurapparates zunichte machte. Goebbels bat Bouhler, zu erklären, wozu er die angeforderte Kompetenz benötigte und erhielt keine Antwort. Man entschloß sich im Propagandaministerium zur Intrige gegen die PPK und versuchte deren faktischen Leiter, Hederich, ob seines Einsatzes für astrologisches Schrifttum zu diskreditierenSchützenhilfe erhielt die Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums bei dieser Gegenintrige aus dem Amt Rosenberg. Wozu die PPK die neue Kompetenz benötigte, stellte sich wenig später heraus, als Karl Heinz Hederich Bertelsmann schriftlich darauf hinwies, daß Fritz Otto Buschs Narvik-Buch nach Prüfung nicht das Placet der Prüfungskommission erhalten habe.

Buschs Buch war Ende 1940 erschienen, es hatte die militärische Vorzensur durchlaufen, kein geringerer als Großadmiral Raeder hatte sich hinter die Veröffentlichung gestellt und diese mit einem Geleitwort ausgestattet; die Marine hatte sich für den Papierverbrauch ausgesprochen, als die nächsten Auflagen erforderlich wurden — der Titel war unverzüglich ein Bestseller. Das OHL hatte das Buch für die Anschaffung in den Wehrmachtsbibliotheken empfohlen; aus dem NS.-Lehrerbund trafen die ersten Gutachten ein, die das Werk als Gesinnungstreues würdigten, nicht umsonst trat hier der Großadmiral auf. Daß die Soldaten in Buschs Buch noch vor Beginn der Kampffahrt einen Truppengottesdienst besuchten, unterstrich das Integrative Moment des Werkes: Männer von der Küste und Gebirgsjäger bildeten hier die unbesiegbare Einheit, der die Welt nichts entgegenstellen konnte, der nationalsozialistische Staat traf dabei auf eine Kirche, die hinter den Soldaten stand — vorbei waren die Zeiten, die Thor Goote noch mit Ekel aus dem Ersten Weltkrieg schilderte, die Zeiten eines süßlichen wie realitätsfernen Christentums. Im neuen Staat einte der Krieg quer durch die Landschaften, Konfessionen, Schichten und Mannschaftsränge. Am 30.5.1941 verbot die Schweiz das Buch als unerträgliche nationalsozialistische Propaganda, selben Tages traf bei Bertelsmann Post aus der Parteiamtlichen Prüfungskommission ein mit der Nachricht, daß diese dem Werk die Aufnahme in die Liste des NS.-Schrifttums verweigerte, da hier gegen alle nationalsozialistische Ideologie der Dienst, den die Soldaten für Volk und Führer leisteten, dem Gottesdienst untergeordnet erschien — von der weiteren Publikation in dieser Form riet die PPK ab.

Man regaierte bei Bertelsmann prompt und empfindlich. Das Unternehmen war in Insiderkreisen als ehemaliges theologisches Verlagshaus bekannt. Der Verdacht, daß man in Gütersloh nationalsozialistische Propaganda kirchlich unterminierte, war ausgesucht geeignet, die Verantwortlichen in Gütersloh zu diskreditieren. Mit dem Buch hatte die Beanstandung letztlich nichts zu tun. Hederichs Schreiben wurde Busch übermittelt, dieser gab es an Raeder weiter, der sich selbst, seinen Autor Busch und alle, die vor Narvik gekämpft hätten, mit diesem Brief in der gemeinsamen nationalsozialistischen Gesinnung beleidigt sah. Hederich reagierte geschmeidig: Er hege keinen Zweifel an der Regimetreue der Marine oder seines Korrespondenzpartners; er habe das Buch beanstandet, da diese Regimetreue in ihm schlecht dargestellt worden sei. Es gehe ihm gerade darum, die korrekte Darstellung zu sichern. Im Übrigen gehe von der Parteiamtlichen Prüfungskommission kein Zensururteil aus; diese habe dem Buch lediglich die Empfehlung verweigert, es sei nicht verboten worden.

Hinter den Kulissen erwirkte Hederich auf dem Weg, den sein Haus wenige Monate zuvor ausgetestete hatte, nun das Verbot — das Verbot eines Buches, das Wehrmacht und Propagandaministerium gebilligt hatten und das im Handel binnen weniger Monate ins 615. Tausend gelaufen war. Seit Wochen versuchte der Leiter der Parteiamtlichen Prüfungskommission von Hitler persönlich die Kompetenzen der PPK erweitert zu erhalten — diese müßte auf die Gestapo zugreifen können, ohne daß dies mit dem Propagandaministerium abgestimmt würde. Goebbels betonte, daß es ihm rätselhaft scheine, welche Arbeit des Propagandaministeriums damit kritisiert werden solle und wogegen die PPK mit der Gestapo einschreiten wolle — Bouhler sollte doch einfach den Titel nennen, dessen Verbot ihm am Herzen liege. Außen vor blieb, daß es sich bei diesem Titel womöglich um einen handelte, den Goebbels nicht vom Markt nehmen konnte, da er ihn wie Buschs Buch bereits genehmigt hatte — das Kriegsbuch, war ja bereits durch die Zensur im Propagandaministerium gegangen. In jedem Falle, so bat der Reichspropagandaminister den für Rechtsfragen zuständigen Minister Lammers, hoffe er, daß er selbst im Streitfall genauso wie Bouhler vor dem Führer vorstellig werden könne. Gegen Buschs Narvik-Buch wurde die PPK ohne die Unterrichtung des Propagandaministerium bei Hitler vorstellig. Martin Borman tat dem "Führer" den Vortrag in der Sache und gab die Entscheidung des Führers dann als erste und letzte ohne schriftlichen Niederschlag bekannt — lediglich eine Aktennotiz im Fundus der PPK, notierte am 25.7.1941 das für den NSDAP-Verlag erfreuliche Ergebnis: der "Führer" habe das Buch, das Goebbels nicht im Vorhinein verhinderte, jetzt persönlich verboten. Laut Bormann wünsche Hitler, nicht mit der Entscheidung in Verbindung gebracht zu werden; auch habe er entscheiden, daß die Sache keinen Einspruch duldete.

Es dürfte dem Propagandaministerium überlassen geblieben sein, die Regelung als unumstößliche der Marine und dem Verlag in Gütersloh mitzuteilen. Bertelsmann nahm den Titel, der sich besser als jedes Kriegsbuch zuvor verkauft hatte, vom Markt. Es bleibt unklar, ob die ganze Initiative Bouhlers, Zugriff auf das Verbotswesen zu erlangen, mit Buschs Narvik-Buch einen Präzendenzfall gewann, oder ob die PPK — dafür spricht am Ende die Chronologie der Ereignisse — von Hitler die gesamte Befugnis überhaupt nur verlangte, um erfolgreich diesen Stein gegen Bertelsmann werfen zu können. Die Parteiamtliche Prüfungskommission war aus dem Lektorat des Parteiverlags der NSDAP hervorgegangen, und es lag vor allem im Interesse des Partei-Verlags, wenn die PPK hier den Titel eines Konkurrenten vom Markt nahm. Das Interesse der NSDAP als durchaus vom eigenen Verlagsimperium lebende Institution war gegenüber Bertelsmann nicht zuletzt ein sehr wirtschaftliches.

Im Propagandaministerium fand man wenig später Wege, dergleichen Interventionen der PPK im Vorfeld zu verhindern: Mit der Bewilligung aller Buchaufträge durch das Papiervergabeverfahren handelte das Propagandaministerium ab 1942 im Einvernehmen mit dem Wirtschaftsministerium vorab aus, was gedruckt wurde. Bertelsmann riskierte unter diesen Regularien wenig später in ganz neuem Maße seine weitere Existenz.

 

Zurück | Weiter | Bertelsmann HauptseiteEnde