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C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh

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Kapitel 6: Unter Korruptionsverdacht — 1943-1945

Bereits 1941 erlangte der Verlag leichter größere Mengen Papier auf dem Markt, der sich guter Gründe und Fürsprecher versichert hatte. Im Falle von Buschs Narvik-Buch bat der Verlag den Autor, bei der Marine vorstellig zu werden, die Bertelsmann gerne bescheinigte, daß die Werke des Hauses im besonderen Interesse der Marine erschienen.

 

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Von der Papierverbrauchsstatistik zum Papierscheckverfahren: Siegeszug der Planwirtschaft

Mit dem Beginn des Krieges, am 10.10.1939, war die "WiBu", die "Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels", von Goebbels beauftragt worden, die Papierbewirtschaftung der Buchverlage zu übernehmen. Am 25.11.1939 wurden mit der "Anordnung über die Papierverbrauchsstatistik" alle Buchverlage verpflichtet, ab dem 1.1.1940 für Neuerscheinungen, Neuauflagen oder Neuausgaben den Papierverbrauch festzuhalten. Die Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels und die Schrifttumsstelle des RMVP richteten 1940 eine enge Zusammenarbeit ein. Die Verlagswelt bekam den Wandel nach dem Überfall auf Rußland zu spüren, als die allgemeine Rohstoffrationierung eingeführt wurde. Für jeden Buchtitel mußten fortan Anträge auf Zuteilung gestellt werden.

Papierscheck

Den "Bedarfsdeckungsschein" löste endlich 1942 der "Papierscheck" als Lenkungsinstrument ab. Auf dem vorgefertigten Formular verzeichnete der Verlag, sein Angebot — Titel, Auflagenhöhen, Papierbedarf. Der Kunde — das mochte die mit dem Aufbau von Luftwaffenbibliotheken beauftragte Stelle Oberstleutnant Schepelmanns sein — zeichnete als Interessent. Der Scheck ging sodann in die Prüfung innerhalb der kontingentvergebenden Stelle. Innerhalb der Luftwaffe, die vierteljährlich von der Wirtschaftsstelle ein Papierkontingent zugeteilt bekam, prüfte Margarete Braun den vorgeschlagene Handel. Nach diesen drei untergeordneten Unterschriften kam die Prüfung zwischen dem Propagandaministerium und dem Wirtschaftsministerium. Mit den zwei neuen Unterschriften lief der Scheck an den Verlag zurück, der sich mit ihm nun an einen Papiergroßhändler wenden konnte. Dieser durfte, da ein nachgewiesenes Interesse am Papierverbrauch bestand, den rationierten Rohstoff abgeben. Der Druck lief an, der Handel begann. Die Lage sah nicht einfacher aus, wenn der Verlag bereits den notwendigen Papiervorrat auf Lager hatte. Lagerentnahmen unterlagen demselben Genehmigungsverfahren. Bis ein Verlagsvorhaben anlaufen konnte, verging von nun ab Monate — sehr zum Verdruß der im Verfahren untergeordneten Stellen: Verlage blieben im Geschäft, wenn sie die Auslastung mit kriegswichtigen Aufträgen melden konnten. Besteller auf Seiten der Kontingentträger, Besteller in der Wehrmacht wie in den konkurrierenden Institutionen, die über Papier verfügten, hatten ihrerseits ein Interesse daran, daß sie Papier, das ihnen das Wirtschaftsministerium zugestand, innerhalb der Vierteljahrespläne in Aufträge umwandelten; sie riskierten ansonsten, daß das ihre Kontingente im nächsten Quartal entsprechend gekürzt wurde.

War das gesamte komplizierte Verfahren eingeführt worden, um zu Papiereinsparungen zu führen, so erzeugte es im Gegenteil bei allen, die über Papier verfügten, das Interesse, ihre Kontingente restlos auszuschöpfen. Heeresstellen druckten Hochglanz-Kalender, um Kunstdruckpapier zu verbrauchen, und noch kurz vor Kriegsende sollte die Organisation Todt den Versuch unternehmen, sich verlegerisch beliebt zu machen: Man plante, bei Bertelsmann eine halbe Millionen Exemplare von Grimms Volk ohne Raum drucken zu lassen, um diese den Mitarbeitern zum Geschenk zu machen. Hans Grimm war begeistert, verzichtete öffentlich auf sein Honorar (und handelte unter der Hand aus, daß die Organisation ihm noch sein Klostergut renovierte), Heinrich Mohn war entsetzt über solche Großzügigkeit, würde Grimms Werk doch damit unverkäuflich werden: in kompletter Marktübersättigung würde es am Ende in allen Antiquariaten ausliegen. Prestigeprojekte schossen aus dem Boden, wo Sparsamkeit angesagt war.

Vor allem aber gedieh die Korruption, der mit dem Transparenz schaffenden Verfahren vorgebeugt sein sollte.

 

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Von der Plan- in die Schattenwirtschaft

Um zu verhindern, daß Heeresstellen und andere öffentliche Institionen mit der Verlagswelt diffuse Übereinkommen träfen, drangen die Genehmigunsbehörden darauf, daß Zwischenhändler in den Handel zwischen Verlagen und öffentlichen Stellen eingeschaltet wurden. Wenig später machten Versandbuchhandlungen exorbitante Geschäfte: Sie kauften bei Verlagen und verkauften die Auflagen ohne große Zwischenlagerungszeiten an Wehrmachts- und Parteistellen weiter, die Rabattsummen — bis zu 55% des Handelswertes — blieben ihnen. Bertelsmann band sich an Matthias Lackas, der 1942 noch für den Deutschen Verlag, das ehemalige Haus Ullstein tätig war, das mittlerweile zum NSDAP-Parteikonzern gehörte. Lackas versprach öffentlichen Auftraggebern Hilfe bei der kompletten Ausschöpfung ihrer Kontingente — die Verlage standen auf der anderen Seite bei ihm Schlange in der Hoffnung, auf öffentliche Aufträge, und sie waren bereit, Provisionen von 10% bis 30% zu zahlen, für Verträge die Lackas vermittelte. Die ihm anvertraute Versandbuchhandlung Arnold machte bald größere Profite als der Deutsche Verlag, das Mutterhaus. Lackas wurde aus der Spitze des Parteiverlags für sein Genie beglückwünscht — ihn verärgerte indes, daß er Provisionen nur unter der Hand annehmen konnte. Der Profit seiner Transaktionen kam einem Unternehmen zu, das viel zu unflexibel war, dergleichen Geschäfte selbst einzufädeln.

Im Dezember 1942 brach Lackas mit dem Deutschen Verlag. Die Luftwaffe half ihm in den Deutschen Archiv-Verlag eine unbedeutende Firma in Berlin, zu wechseln, wo ihm ein Drittel aller Rabattsummen aus den Geschäften, zugesichert wurde, die er über den Archiv-Verlag laufen ließ. Lackas sprach im Januar 1943 in Gütersloh vor mit der Aussicht, erhebliche Mengen an Büchern verkaufen zu können, wenn der Verlag ihm Papierschecks "blanko" abzeichnete. Er konnte mit den ihm überlassenen Schecks direkt bei den Kontingentträgern in Heer und Luftwaffe vorsprechen und vor Ort Aufträge so einsetzen, daß sie die vorhandenen Rohstoffvolumen komplett ausnutzten. Die Praxis war nicht unbedingt illegal — sie konterkarrierte indes das Bemühen der Wirtschaftsstelle, den Papierverbrauch zu senken durch die perfektionierte Abschöpfung der genehmigten Kontingente.

In die Illegalität driftete der Gütersloher Verlag, nachdem das Verfahren geeignet erschien, die Behörden vollständig zu beruhigen. Was sprach dagegen, wenn man dem Drängen der Wehrmacht nachgab und eine bestellte Auflage auslieferte, noch bevor der Papierscheck mit allen Unterschriften zurückkam? Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß Aufträge, die die Wehrmacht erteilte im Propagandaministerium für kriegswichtig erachtet werden würden.

Man wartete zuerst nicht mehr die Genehmigungen ab. Wenig später lieferte man gar nicht mehr aus, was per Papierscheck geordert war. Es war unrentabel, wenn man auf einen einzelnen Auftrag hin wie im Papierscheck angegeben diverse kleine Posten druckte. Rentabler und damit im Interesse der Wirtschaft, arbeitete man, wenn man nach Lager und Wunsch lieferte, jedoch tatsächlich auf den später eintreffenden Papierscheck hin wenige Titel in großen Auflagen für das Lager nachdruckte — der Rentabilitätsgewinn blieb dabei im Unternehmen. Die Papierschecks waren wenig später nur noch das Papier wert, dessen Erwerb und Verarbeitung sie gestatteten. Das Propagandaministerium genehmigte Druckaufträge, während ganz andere Arbeiten mit demselben Papier ausgeführt wurden.

Das Verfahren erforderte an dieser Stelle die Bereitschaft des Verlags, sich mit Materialvorräten auf eigene Faust einzudecken. Bertelsmann agierte dabei großzügig. Johannes Banzhaf kaufte und druckte zunehmend im Ausland. Die Behörden höhlten schließlich ihr eigenes System aus. Mitte 1943 wurde Finnlandpapier in größeren Mengen auf dem europäischen Markt verfügbar. Die Wirtschaftsstellen sahen ab, daß die Mengen nicht so rasch, wie sie ins Angebot kamen, von den deutschen Papiergroßhändlern vom Markt gezogen würden und gestatteten ausnahmsweise Verlagen den direkten und nicht über konkrete Aufträge vorab genehmigten Erwerb von Papier. Als ungefähre Obergrenze, die die Rohstoffhortung verhindern mußte, stand der Dreimonatsbedarf im Raum. Bertelsmann kaufte binnen weniger Monate mehr als den Jahresbedarf an Papier — 800 t — ein Volumen, das man, da es sich um minderwertiges Papier handelte, zudem durch Zukäufe an hochwertigem Papier übersteigen mußte. Die Wirtschaftsstellen sahen kein Problem auf sich zukommen, da die Lagerentnahmen ja letztlich genehmigt werden mußten, doch konnte sich auf der anderen Seite der Verlag, der über das Papier verfügte ausrechnen, daß er am Ende auch die Genehmigungen zum Verbrauch erhalten würde. Die Hoheit im planwirtschaftlichen Gefüge ging unvermerkt auf die Verlage und die den Handel arrangierenden Zwischenhändler über. Bertelsmann produzierte mit Auftragsverlagerungen jenseits der hausinternen Leistungsgrenze, während die ersten Konkurrenten 1942 freiwillig das Feld verließen. Im Börsenblatt des deutschen Buchhandels erschienen von nun an in regelmäßigen Abständen "Sperrlisten" mit den Namen der Unternehmen, die aus Papiermangel keine Bestellungen mehr entgegennnahmen. Bertelsmann geriet nicht unter sie.

 

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Die Schließungswelle 1943 geht an Bertelsmann gerade noch einmal vorüber

Ungeachtet des Engagements mit dem Bertelsmann öffentliche Stellen auch bei ausbleibenden Genehmigungen belieferte, geriet das Unternehmen 1943 auf die ersten Schließungslisten, die erstellt wurden, um "kriegswirtschaftlich" nicht wichtige Unternehmen stillzulegen und ihre Arbeitskräfte (respektive die Arbeitskräfte, die durch diese Unternehmen in anderen Wirtschaftszweigen gebunden blieben) für die Front oder den kriegswirtschaftlich begründeten Fabrikeinsatz freizusetzen.

Bertelsmann verhandelte mit dem Gau-Propagandaamt in Münster und über den Starautor Will Vesper mit Staatssekretär Gutterer im Propagandaministerium über die Modalitäten, unter denen sich das Unternehmen vor der Schließung bewahren ließ. Will Vesper sprach Gutterer gegenüber die Dinge beim Namen an: Gegen Bertelsmann wurde intrigiert, da das Unternehmen als theologischer Verlag bekant war — und zwar obwohl dieses Unternehmen gar keine Theologie mehr produzierte und tatsächlich wie kein anderes für die Wehrmacht arbeitete. Wenn Bertelsmann stillgelegt würde, dann würde offensichtlich, daß die angeblich kriegswirtschaftlich bedingten Schließungen einem ganz anderen Machtkalkül gehorchten.

Vesper war von der Verlagsführung mit dem Vorschlag ausgestattet, der das Problem für das Propagandaministerium ohne Gesichtsverlust lösen konnte: Das Unternehmen würde die theologische Produktion (die längst eingestellt war) offiziell auf den Rufer-Verlag übertragen, den Mohn zu diesem Zweck 1939 erworben hatte und der ebenfalls längst nicht mehr produzierte. Der Rufer-Verlag würde sodann geschlossen, Bertelsmann bliebe als belletristischer Verlag bestehen.

Das Arrangement fand Anerkennung. Dessin konnte am 17.5.1943 von einer erneuten Vorsprache bei Rudolf Erckmann, dem wichtigsten Ansprechpartner des Unternehmens im Propagandaministerium, berichten. Sein firmeninternes Memorandum der Besprechung gibt tiefen Einblick in die Geschäftigkeit, die im Propagandaministerium in der Abteilung Schrifttum herrschte. Die Abteilung barst unter dem Andrang der Antragsteller. Dessins Vorsprache wurde von Telefongesprächen unterbrochen. Die Einigung, die der Verlag im Blick auf den Rufer-Verlag erzielt hatte, fand jedoch Bestätigung und Erckmann ging einen Schritt weiter. Er fragte, wie es um die Verlagerungsanträge stünde, die Bertelsmann für Auslandsprojekte einreichen mußte, und Dessin war froh, am Behördenweg vorbei die Anträge Erckmann persönlich in die Hand drücken zu können. Erckmann wußte, daß Bertelsmann auf dem internationalen Markt schwarz kaufte Papier und sprach das offen an — in der Wirtschaftsstelle Buch, konnte man die Schwarzkäufe theoretisch nachrechnen, denn Bertelsmann beantragte Lagerentnahmen, die über dem genehmigte Papiererwerb lagen. Erckmann sprach die illegalen Käufe nicht an, um Bertelsmann zur Ordnung zu mahnen, sondern erbat im Gegenteil im Gegenzug für sein Entgegenkommen in der Schließungsfrage den Verlag darum, auch für seine Stelle illegal aktiv zu werden. Papier, so begründete er seine Bitte, könne ihm helfen, Verlagen, die sich schlechter versorgten, am Leben zu halten. Dann kam die Sprache auf Hans Grimm, der seit 1938 bei Bertelsmann war, den man in Gütersloh jedoch nicht großzügiger verlegte, da man hier einen Konflikt mit Grimms Erstverlag, Langen-Müller und damit dem NSDAP-Konsortium riskierte, in dem Langen-Müller aufgegangen war. Neue Ausgaben Grimms waren mittlerweile längt nötig und Erckmann versicherte den Verlag seiner Unterstützung. Wieder in Gütersloh meldete Dessin Banzhaf bei Erckmann an, und der Herstellungsleiter fragte bei seiner Vorsprache Erckmann schließlich, ob ihm klar sei, daß Schwarzmarkt-Papier, wie er es in Holland besorgte, bald den vierfach übersetzten Preis kostete?

Bertelsmann arbeitete bei der Materialbeschaffung wie bei der Abwicklung von Aufträgen am Rand der Legalität. Man wußte dabei in Gütersloh, daß die Verantwortlichen im Propagandaministerium von den Gesetzesübertretungen wußten — eine stille Übereinkunft. Es war allen Beteiligten damit gedient, daß gegenwärtig jedes Mittel genutzt wurde, um Bücher in die Produktion zu bringen.

 

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Im Fadenkreuz der Korruptionsermittler

Die Korruptionsermittlungen, die Bertelsmann Ende August 1943 erfaßten, begannen bereits im Frühjahr des Jahres. Sie setzten zuerst bei Matthias Lackas an, der mit der Luftwaffe und dem Heer Geschäfte tätigte, die im Deutschen Verlag, der Spitze des Zentralverlags der NSDAP und dann der Reichsschrifttumskammer Unwillen erregten — Unwillen nicht zuletzt, da Matthias Lackas im Dezember 1942 im Eklat aus dem Deutschen Verlag ausgeschieden war und darum von Seiten des Parteikonzerns kein Grund mehr bestand, ihn zu schützen. Die Angelegenheit blieb mit Vorsicht zu behandeln, da sie absehbar vor allem die Wehrmacht betreffen mußte. Diese war 1943 gezwungen, entschieden zu handeln, sollten Korruptionsvorwürfe gegen sie laut werden. Mitte August 1943 wurde aus dem Heer der zuständige Referatsleiter Walter Pinski verhaftet, wenig später verhaftete die Luftwaffe ihr Pendant, Oberstleutnant Schepelmann. Matthias Lackas wurde am 26.8.1943 festgenommen. Am 3.9.1943 lud die Kriminalpolizei Johannes Banzhaf in Gütersloh vor. Man hatte in Berlin geschäftliche Korrespondenz aus dem Hause Bertelsmann abgefangen und bat die Gütersloher Polizeistelle um einige Klärungen. Was Banzhaf zu diesem Zeitpunkt noch nicht wußte: Matthias Lackas hatte den Ermittlern zurückliegende Post aus Gütersloh zugänglich gemacht. Die erste Vernehmung verlief glimpflich, da das ganze Ausmaß der Geschäfte, in die Lackas verwickelt war, sich noch gar nicht absehen ließ.

Bei Bertelsmann konnte man sich zudem in Sicherheit wiegen, da die Tage des Herstellungsleiters Banzhaf im Hause gezählt waren. Im Frühjahr hatte Fritz Wixforth Gerhad Steinsiek davon unterrichtet, daß er von der Front in das Unternehmen zurückkehren könne, falls man statt seiner einen anderen Mann für den Krieg freistellte — eine in Wehrmachtskreisen vertraulich gehandhabte Regelung, besagte dies. Wixforth hatte sie im Bürodienst tätig, in Verletzung der Bestimmungen nach Gütersloh weitergemeldet.

Der Personalchef Steinsiek hatte zuerst Johannes Banzhaf gefragt, ob er bereit sei, an die Front zu gehen, denn soviel war klar: holte man Wixforth zurück, so würde Banzhafs weitere Unabkömmlichkeitsstellung hinfällig. Banzhaf weigerte sich und seine Weigerung wurde bald unter den Kollegen bekannt. Ein Packer wurde für Wixforth an die Front geschickt (und blieb im Krieg). Der ehemalige Bürochef kehrte am 1.4.1943 in das Unternehmen zurück. Johannes Banzhaf wurde von den Behörden für ein weiteres halbes Jahr uk-gestellt, soviel Zeit verblieb ihm, seinen ehemaligen Chef in das neue Ressort einzuarbeiten. Banzhaf reiste mit Wixforth in die Niederlande; gemeinsam kaufte man dort auf dem Schwarzen Markt überteuertes Papier. In Berlin lernte Wixforth Lackas kennen; zudem wurde er bei allen wichtigen Wehrmachtsstellen eingeführt. Am 1.10.1943 übernahm Wixforth Banzhafs Position, dreißig Tage später verließ Banzhaf das Unternehmen. Gerade noch rechtzeitig war es ihm gelungen, bei der SS. eine Position zu finden, die er als Zivilist bekleiden konnte: Mit dem SS.-eigenen Völkischen Kunstverlag übersiedelte er als dessen Leiter am 30.11.1941 nach Landsberg an der Warthe, wo die Polizei ihn 14 Tage später festnahm. Banzhafs Verhöre begannen im Januar. Die ersten Ermittlungen auf dem Firmengelände in Gütersloh fanden am 16.12.1943 statt, mußten jedoch bald unterbrochen werden. Heinrich Mohn nutzte die Situation, um am 17. seine Firma von der an ihn gebundenen Ein-Personen-Geselschaft in eine KG mit Familienbeteiligung umzuwandeln. Das Firmenvermögen war damit einer Komplett-Beschlagnahme entzogen. Ende Januar, Anfang Februar unterzogen die ermittelnden Berliner Polizeibeamte die Firma einer kompletten Durchsuchung. Beschlagnahmt wurden alle Akten, die mit Papiergeschäften und Druckgenehmigungen zu tun hatten. Wilhelm Beimdiek, Fritz Wixforth und Gerhard Steinsiek wurden nach den ersten Verhören festgenommen. Heinrich Mohn ließ man nach ärztlichem Attest in Gütersloh. Die Inhafteirten wurden am 6.3.1944 nach Berlin überführt. Am 14. eröffnete der Prozeß gegen Matthias Lackas, in dem Banzhaf und Beimdiek aussagten. Lackas wurde zum Tode verurteilt, seine Geschäftspartner im Heer "töteten sich in den Zellen". Mitte Juli wurden die Gütersloher von Berlin nach Bielefeld zurücktransportiert, der Prozeß gegen sie sollte vor dem dortigen Sondergericht stattfinden.

 

15.7.1944: Der Haftbefehl der Sonderstaatsanwaltschaft Bielefeld, mit dem Gerhard Steinsiek, Fritz Wixforth, Wilhelm Beimdiek und Johannes Banzhaf aus der Untersuchungshaft in Berlin herausgelöst und in die Untersuchungshaft nach Bielefeld überstellt wurden.

 

Theoretisch sah die Lage für die inhaftierten Verlagsbuchhändler aussichtslos aus. Das Sondergericht Bielefeld hatte wegen wesentlich geringerer Delikte Todesurteile verhängt. Tatsächlich gelang es jedoch den Bertelsmann-Anwälten, die Bielefelder Staatsanwaltschaft zuerst zu verunsichern und dann entschieden für sich einzunehmen. Ihren Mandanten werde, so die ersten Dossiers, vor allem der Erwerb von Finnlandpapier zur Last gelegt — die Regelung sei unklar gewesen, mit dem überhöhten Kauf könne jedoch allenfalls eine Ordnungswidrigkeit vorliegen, die die Haft nicht rechtfertigte. Die Staatsanwaltschaft versuchte, die Informationen in Berlin zu verifizieren. Als sie keine Antwort erhielt, ließ sie die aus dem Unternehmen Beschuldigten frei. Als Banzhafs Haus bei einem Bombenangriff zerstört wurde, folgte auch seine Freilassung. Die Berliner Ermittler konnten, als sie im Oktober ihre Ermttlungsergebnisse der Bielefelder Staatsanwaltschaft samt neuen Verhören zugänglich machten, das Ruder nicht mehr herumreißen. Ihr Bericht vom 19.10.1944 lief auf einen vollständigen Schuldspruch der angeklagten Bertelsmann-Mitarbeiter hinaus. Im Verein mit Matthias Lackas hatten sie sich an Bestechungen beteiligt, um an Buchaufträge zu kommen. Sie hatten Lackas mit der Ausstellung von Blankoscheks weitgehend freie Hand gelassen, für sie zu tun, was auch immer ihnen erhöhte Aufträge und Papierverbrauchgenehmigungen enbrächte. Ganz offensichtlich hatten sich Banzhaf und Beimdiek persönlich bei diesen Geschäften bereichert — Beimdiek in der Hoffnung auf Provisionen, die er am Unternehmen vorbeizuschleusen vorhatte, und Banzhaf hatte im Juli 1943 noch gemeinsam mit Lackas für 1,4 Millionen Reichsmark Immobilien in Westpreußen gekauft, reich geworden an Tantiemen die er aus den Büchern bezog, die Lackas bevorzugt für ihn verkaufte. Banzhaf hatte daneben den Versuch unternommen, seine weitere Uk-Stellung über Lackas zu erschleichen — die Planungen zum Erwerb einer gemeinsamen Firma hatte vor allem diesem Zweck gedient. Fritz Wixforth hatte seine eigene Uk-Stellung erwirkt, indem er eine vertrauliche Dienstvorschrift seinem Arbeitgeber mitteilte — beides Fälle von Wehrkraftzersetzung.

Theoretisch hätten die Anklagepunkte vor jedem Sondergericht für Todesurteile und Zuchthausstrafen ausgereicht. In Bielfeld begannen Verhandlungen zwischen dem Bertelsmann Wirtschaftsprüfer Fritz Möhle, den Anwälten der Firma und dem jungen Sonderstaatsanwalt Hermann Niederlag, der mit dem Fall betraut wurde und sich schließlich zu einer einvernehmlichen Lösung bereit fand. Bertelsmann kaufte sich frei, Niederlag überließ es den Wirtschaftsstellen in den verbleibenden Ordnungswidrigkeiten zu ermitteln. Alle beschlagnahmten Papierkontingente überantwotete Niederlag in den letzten Kriegstagen dann noch dem Unternehmen, das damit zumindest mit Papier ausgestattet in die Nachkriegszeit ging.

 

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Seit dem August 1944 geschlossen, seit dem Februar 1945 nach Bombenangriff Produktionsunfähig — ein fragwüdiger Endpunkt

Im August 1944 war die zweite Schließungswelle mit dem Ziel, Arbeitskäfte freizusetzen durch die Verlagswelt gegangen. Bertelsmann hatte zwei Verfügungen erhalten — eine für das eigene Haus (die in den 60er Jahren nach einer Ausstellung verloren ging) und eine für den Verlag der Rufer. Mohn fragte wegen letzterer zurück — der Rufer-Verlag war doch seines Erachtens schon im September letzten Jahres geschlossen worden. Die in Sachen Bertelsmann ergehende Verfügung ließ er dagegen unbeanstandet — Tags zuvor waren seine wichtigsten Mitarbeiter freigekommen, das allein schon legte es nicht nahe, sich zu beklagen.

 

Geschlossen aus kriegswirtschaftlichen Gründen. Die Schließungsverfügungen, die am 28.8.1944 bei Bertelsmann für das eigene Haus und den (bereits 1943 stillgelegten) Rufer-Verlag eingingen. Das Dokument, das dem Stammhaus galt, liegt nur mehr in Kopien vor.

 

Hans Grimm mußte von der Schließung unterrichtet werden. Sie geschah allein aus Gründen, die mit der totalen Mobilisierung gegeben waren. Mohn ließ Grimm jedoch im weiteren Austausch verstehen, daß man gegen die Verfügung auch nicht einschreiten konnte. Das Propagandaministerium konnte sie nicht aufheben, solange gegen Bertelsmann ermittelt wurde. Ein anderes war Mohn bereits aus der Leitung des Rufer-Verlags klar: die Schließung nahm das Unternehmen keineswegs vom Markt. Lagerbestände durften weiterverkauft werden, Aufträge, die sich in Arbeit befanden, durften abgearbeitet werden. Hans Grimm beruhigte das wenig. Am 6.10.1944 wandte er sich an Rudolf Erckmann mit der Bitte, ihm zu erklären, was die Schließung des Hauses Bertelsmann konkret für seine Pläne, Volk ohne Raum neu zu veröffentlichen bedeuten würde. Erckmann versicherte Grimm noch am 5.3.1945, daß er unbesorgt sein könne: Volk ohne Raum werde erscheinen können, und wenn Bertelsmann zu diesem Zweck ein Arrangement mit Westermann träfe, so daß man mit der Legitimation des einen Unternehmens und den Ressourcen des anderen drucken könnte.

Die Maschienen liefen bei Bertelsmann ungeachtet der Schließung weiter. Das Unternehmen hatte einen Berg von Aufträgen abzuarbeiten. Man arbeitete Ende 1944, Anfang 1945 im Schichten, die den fortwährenden Bombenalarmen Rechnung trugen. Aliierte Kampfverbände konnten am Ende bei Tage ungefährdet Gütersloh überfliegen auf der Suche nach Zielen im Ruhrgebiet oder um Bomben auf den Ort, der mit Miele auch die Rüstung beieferte, abzuwerfen. Mit massiveren Konsequenzen wurde das Firmengelände schließlich am 14.3.1945 getroffen. Der Schaden hätte sich begrenzen lassen, hätte man die Brandherde in den Griff bekommen. Die Feuerwehr kam jedoch erst am Abend von Paderborn, als die Hitze es dem Brand längst ermöglich hatte, sich über die Dächer auszubreiten.

Das Unternehmen schien in den letzten Tagen des Dritten Reichs noch ohne weiteres reparabel — vielleicht fielen die Schadensmeldungen auch nur so moderat aus, da man noch immer mit der Sonderstaatsanwaltschaft über die Freigabe der beschlagnahmten Papiervorräte verhandelte. Am 31.3.1945 sichtete man vor Gütersloh die ersten Amerikaner. Heinrich Mohn brachte seine Familie auf einem Bauernhof in Sicherheit. Am 1.4.1945 wurde die Stadt friedlich übergeben. In Gütersloh war der Krieg damit zu Ende, in Berlin sollte er sich noch über einen weiteren Monat hinziehen.

 

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