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Kapitel 4: Großverlag im Krieg — 1939-1942
Hans Grimms Englische Rede
in den Krisenmonaten 1938 auf den Markt gebracht und zwiespältig positioniert zwischen Ankündigung der Deutschen Ost-Expansion und Suche nach einer Allianz mit England |
Der Krieg war im Verlag C. Bertelsmann vor dem 1.9.1939 zum Thema geworden. Die baulichen Maßnahmen der Jahre 1937 bis 1939 kalkulierten den kommenden Luft- und Gaskrieg ein. Auf Betriebsansprachen pries Heinrich Mohn← die Wiederaufrüstung als längst überfällige. Die Auslieferungsabteilung schickte in den zwei Jahren vor Kriegsbeginn zu über 70% Kriegserlebnisbücher und aktuelle politische Reportagen aus dem Haus, und dann waren da die Krisenwochen des Jahres 1938 gewesen, die mit dem Münchner Abkommen nicht endeten und zur Annexion der Tschechoslowakei führten — das Vorspiel zum Angriff auf Polen hatte begonnen.
Hans Grimm hatte während jener Tage hektischer Diplomatie seine Englische Rede← bei Bertelsmann herausgebracht — aus Mohns und Grimms Sicht war das Werk der große Appell Deutschlands an England, eine Allianz der "Nordischen Völker" gegen den Rest der Welt einzugehen. Deutschland benötigte, so die Rede, Raum und mußte diesen, da es keine Kolonien mehr erwerben konnte, im Osten suchen. England mußte, das war die unterschwellige Botschaft des von Grimm mit größter Vorsicht formulierten Textes, von seinem Bündnis mit Polen Abstand nehmen, wollte es einen Weltkrieg mit Deutschland verhindern.
Die Englische Rede fand ein dumpfes Presse-Echo. Im angelsächsischen Raum las man sie als Zeichen des deutschen Rassismus, im Deutschen Reich schwiegen die Rezensenten, hatte doch Grimm auf der anderen Seite die Engländer als die bei weitem zivilisierteste und eben darum in der imperialen Politik erfolgreichste Nation der Welt gefeiert. Die Zensurstellen des Dritten Reichs notierten Grimms Rede nicht. Im Verlag wartete man auf das öffentliche Placet, das die Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS.-Schrifttums← dem Text, den das Außenministerium gebilligt hatte, geben mußte, damit die Rezensenten sich ungefährdet für das Werk aussprechen konnten — es kam erst im Oktober 1939, als der Inhalt der Rede bereits von den politischen Ereignissen überholt war. Deutschland hatte Polen überfallen und England stand im Bündnisfall nun gegen das Reich. Nun mußten, so der Hauptlektor Dessin an Grimm am 5.9.1939, die Waffen zwischen England und Deutschland entscheiden.←
Mitte 1939 begannen die Einberufungen. Fritz Wixforth← erhielt die seinige am 24.8.1939 und wurde als Marineartillerist an die Küste versetzt. Gerhard Steinsiek← kümmerte sich wenig später um die Uk-Stellung der Führungskräfte, denen mit Wixforth der zentrale Initiator abhanden gekommen war. Johannes Banzhaf← stieß in die Lücke und übernahm die Vertriebsleitung. Lähmende Wochen gingen dem 1. September voraus, die Buchproduktion wurde heruntergefahren, Aufträge blieben aus, Arbeitskräfte warteten unbeschäftigt.
Wenige Tage nach Kriegsbeginn war die Stagnation beendet. Anfänglich noch aus der Ferne von Fritz Wixforth betreut,← stieg Bertelsmann in die Produktion von Feldpost-Büchern ein. Die Wehrmacht hatte Gewichtsgrenzen festgelegt, es galt, Bücher im passenden Format für den Direktversand an die Front zu produzieren. Die Kundin, die sie daheim ihrem Mann oder Sohn kaufte, ließ sie noch in der Buchhandlung in den mitgelieferten Umschlag einpacken, das Geschenk ging sodann vom Buchhändler direkt an die angegebene Einheit des Beschenkten.
Das erste Geschäft mit der Belieferung der Front lief über den zivilen Buchhandel. Werbeplakate für Bertelsmann-Feldausgaben — zu kaufen in der Heimat und per Feldpost in vorbereiteten Briefumschlägen an die Front zu schicken — aus dem Jahr 1940.
Mit einer Doppelseite warb Bertelsmann am 24.10.1939 im Börsenblatt für die neue Produktion. Für die leitenden Bertelsmann-Mitarbeiter sollte sich das neue Geschäft von Anfang an lohnen. Die von Johannes Banzhaf herausgegebene Humoranthologie Lustiges Volk stand an erster Stelle im neuen Angebot und brachte Banzhaf (und seinen mit geringen Prozentabschlägen beteiligten nächsten Kollegen) bis 1943 ein Vermögen von mehreren Hunderttausend Reichsmark ein.
Wie vom Propagandaministerium empfohlen, gingen vor allem leichte Kost und die eingängigere Klassik deutscher Literatur von Goethe bis Storm an die Front. Die Soldaten verlangten Abwechslung und Entspannung und das Geschäft wuchs: Zu den im heimischen Buchhandel verkauften Ausgaben kam bald das Direktgeschäft mit Büchern über den Frontbuchhandel, der mit der Zentrale der Frontbuchhandlungen← und ihren rollenden Buchläden und festen Depandancen in eroberten Städten die Soldaten selbst als Käufer addressierte. Schließlich traten die einzelnen Waffengattungen der Wehrmacht als Kunden auf die Verlage zu: Sie mußten Lazarettbibliotheken aufbauen, belieferten Kasernen mit Lesestoff, ja die U-Boote verfügten noch über eigene Bibliotheken, die erst einmal ausgestattet sein mußten. Das Rote Kreuz kaufte Bücher im großen Stil, die SS, die SA, die Organisation Todt — ein neuer Markt war mit dem Krieg aus dem Nichts entstanden, kein freier Markt, ein staatlich subventionierter, auf dem sich derjenige hervortat, der mit dem größten Erfolg bei den Verantwortlichen vorsprach.
Bertelsmann, ein Verlag mit provinzieller Herkunft ohne besonderen Kontakt zu Parteistellen, hatte mit seinen drei Produktserien, die den Bestimmungen folgend mit immer leichterem Versandgewicht gegründet wurden, im neuen Marktsegment die besten Chancen. Das lag zum einen daran, daß man im Unternehmen noch immer aus dem Vertrieb heraus dort plante, wo alteingesessene Verlage aus dem Lektorat heraus arbeiteten. Hatten die Programmgestalter bei Bertelsmann noch vor gar nicht langer Zeit die Buchhandelungen mit der Jahresproduktion besucht, so sprachen sie nun bei den Heeresstellen mit ihrer Ware vor. Daß Bertelsmann bei der Wehrmacht als Produzent von Kriegserlebnisbüchern bekannt war, war ein gewaltiger Vorteil, doch kam ein zweites hinzu: Während andere Verlage zunehmend in Lieferschwierigkeiten gerieten, konnte Bertelsmann die steigende Nachfrage ungehindert bedienen. Das Unternehmen versorgte sich dank den Initiativen Johannes Banzhafs ungebremst mit Rohstoffen auf Europas Markt. Heinrich Mohn sah anfänglich mit Skepsis zu, wie Banzhaf außer Hauses produzieren ließ, was im Haus bei Auslastung der Maschinen nicht mehr druckbar war. Banzhaf ging weiter und ließ in den Niederlanden, in Riga und im "Reichsprotektorat Böhmen und Mähren" drucken, überall, wo auch immer Rohstoffe und Druckkapazitäten freistanden, und wenn möglich den Abnehmern an der Front nahe. Bertelsmann verfügte, was bei alledem am wichtigsten war, über Protektion im Propagandaministerium. Das Goebbels-Ministerium hatte dabei seine eigenen Gründe, das Unternehmen aus der Provinz ungeachtet seiner protestantischen Herkunft zu fördern: Im regimeinternen Machtkampf galt es zu verhindern, daß der Zentralverlags der NSDAP seine Monopolstellung unkontrolliert ausbaute, und damit die Kompetenzen des staatlichen Ministeriums beschnitt. Bertelsmann war in diesem Machtkampf, von der Wehrmacht geschätzt, ein sympathischer Allianzpartner, zudem ein lieferfreudiger, sich selbständig mit Rohstoffen versorgender. Unbemerkt stieg das Gütersloher Unternehmen im neuen Marktsegment zum schärfsten Konkurrenten des Parteiverlags der NSDAP auf. Kein anderes Unternehmen auf dem Markt übertraf Bertelsmann am Ende bei der Belieferung der Front:
Verlag | Exemplare |
C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh | 19.000.000 |
Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf., Berlin/München | 14.000.000 |
W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart | 10.000.000 |
Bibliographisches Institut, Leipzig | 10.000.000 |
C. Gerber (Münchner Buchverlag), München | 4.000.000 |
Insel Verlag, Leipzig | 1.900.000 |
Reclam Verlag, Leipzig | 1.900.000 |
Eugen Diederichs Verlag, Jena | 1.720.000 |
Gauverlag Bayerische Ostmark, Bayreuth | 1.200.000 |
Langen/Müller Verlag, München | 1.100.000 |
Wer die Wehrmacht belieferte, hatte im Verlauf des Krieges, die besten Chancen, als "kriegswichtiges" Unternehmen den Auskämmungen zu entgehen, die die Mobilisierung und die Suche nach Arbeitskräften mit sich brachte. Die Kriegsberichterstattung wurde an selber stelle das Feld auf dem der Verlag Reputation und Allianzpartner gewann. Bertelsmann schritt nicht gerade vorsichtig in das neue Geschäft. Die Jugendheftserie Spannende Geschichten← bot sich — hier druckte man schnell und in großen Mengen — dazu an, rasch und aller Konkurrenz zuvorkommend aus dem neuen Krieg zu berichten. Im Propagandaministerium und in der innerhalb des Ministeriums angesiedelten Wehrmachtszensurstelle, erschrak man, als das erste Heft zum siegreichen Polenfeldzug im Oktober 1939 bei Bertelsmann herauskam.
Mit dem Kriegsbeginn galt für alle Publikationen, die die militärischen Ereignisse berührten, die strikte Vorzensur. In der Abteilung W Pr des Propagandaministeriums wachten Fachleute der einzelnen Waffengattungen darüber, daß die aktuelle Frontberichterstattung keine militärisch relevanten Details nach außen verriet. Man retuschierte aus den Abbildungen Schriftzüge heraus, die es erlaubt hätten, Schiffe und Flugzeuge zu lokalisieren, man redigierte die Texte, so daß Truppenteile und Heeresangehörige unauffällig anonym blieben. Aussagen über strategische Ziele des Krieges wurden eliminiert, allein schon um die reichsinterne Propaganda nicht an Zielvorgaben zu binden. Bertelsmann hatte Schauffs Flieger über Polen nicht der Zensur vorgelegt, ja der Verlag ignorierte den ersten Einspruch, der in dieser Sache aus dem Propagandaministerium erging, und druckte das Heft in weiteren Großauflagen. Nach dem definitiven Verbot besann man sich in Gütersloh. Es war von Vorteil mit der Zensurstelle zusammenzuarbeiten. Zeigte man sich kooperativ, so versorgte sie den Verlag nicht nur mit Beziehungen zu Soldaten, die für 500 Reichsmark 32 Seiten von Kriegsabenteuern füllen würden, sondern auch mit Kontakten zu höchsten Stellen, die Gutachten ausstellen konnten, und die Kriegswichtigkeit des Unternehmens bestätigten. Die Jugendheftserie, die sich schon unter der Wiederaufrüstung von 1935 bis 1938 glänzend entwickelt hatte, schoß mit den Berichten der Väter und Brüder, die an allen Fronten Europas die Armee siegreich voranbrachten, in ungeahnte Auflagenhöhen:
Das große Geschäft kam mit der Kriegsberichterstattung. Die Jahresgesamtauflagen der Jugendheftserie Spannende Geschichten 1927-1943
Reich wurden die Autoren, die Hardcover-Bände zum aktuellen Kriegsgeschehen bei Bertelsmann herausbrachten — zehn Prozent einer Hunderttausender-Auflage, die zum Preis von 4,80 RM das Stück in den Handel ging, brachten einem Autor auf die Schnelle 48.000 Reichsmark ein. Fritz Otto Buschs← Buch zur deutschen Eroberung des Norwegischen Stützpunktes Narvik, das Buch, das 1941 nach einem Ränkelspiel zwischen der Parteiamtlichen Prüfungskommission und dem Propagandaministerium vom Markt genommen werden mußte,← machte den Korvettenkapitän außer Dienstes, wie man sich in Wehrmachtskreisen berichtete, über 350.000 Reichsmark reicher. In der Wehrmacht fiel dessenungeachtet die Entscheidung, dergleichen Privatgewinn am Krieg zuzulassen, die Waffengattungen profitierten von der Werbung, die diese Produktion für sie machte — sie war die effizienteste Nachwuchswerbung. Aus Polen, Rußland, Skandinavien, Frankreich, Spanien — von allen Fronten galt es zu berichten. Einfache Armeeangehörige, ausgediente Militärgrößen, ja Autoren wie Will Vesper,← der vom Spanischen Bürgerkrieg berichtete, schwammen auf der Welle. Aus der Wehrmachts-Zensurstelle im Propagandaministerium kamen freundlich redigierte Fassungen zurück; der NS-Lehrerbund äußerte sich euphorisch über die Bertelsmann-Kriegsbücher; für die Fachbibliotheken der Waffengattungen fanden sie die Empfehlungen der Obersten Heeresleitung.
Mit der neuen Produktion kamen Experimente ins Programm. In biederem, rückwärtsgewandtem Design hatte das Unternehmen 1928 seine ersten vier Romane ins Angebot gebracht. Mit Harald Busch← aus den Kreisen der Hamburger Kunsthalle, dem Bruder des bereits arrivierten Seekriegshistorikers Korvettenkapitän Fritz Otto Busch,← riskierte man eine Moderne, die im Design in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts vorauswies.
Mit anderem bewegte sich der Verlag weit in die Propaganda des Vernichtungskriegs. Den Tiefpunkt setzte hier die wehrmachtsinterne Ausgabe von Hans Hoeschens Zwischen Weichsel und Wolga (1944) mit einer ausgiebigen Bildreportage, die den Sieg über die Völker des Ostens feierte und dabei das gesamte Repertoire an Häme gegen die jüdische Zivilbevölkerung der eroberten Gebiete aufbot, deren Ausrottung dem Einmarsch folgte.
Umsatz, Gewinn und Investitionen der Buchherstellung sind in der obigen Statistik, um die Entwicklungen vergleichbar zu machen, für 1933, das Jahr einer in der Vorkriegszeit durchschnittlichen Korrelation, auf einen Wert von 100 gebracht.
Die Steuererklärungen, die Heinrich Mohn einreichte, konnten nicht verbergen, daß die Jahre 1939, 1940 und 1941 die gewaltigste Gewinnsteigerung mit sich brachten. Der Umsatz verachtfachte sich gegenüber der Vorkriegszeit, doch der Gewinn verdreißigfachte sich im selben Zeitraum. Die Gründe waren unternehmensinitern bekannt: Zum einen arbeitete man rationell mit Großauflagen; zum anderen sanken die Kosten. Die Rohstoffe wurden trotz der Verknappung zuerst einmal billiger: die Preise waren eingefroren, die der Rohstoffe wie die der Bücher. Griff das Unternehmen aus Papiermangel auf billigeres Papier zurück, dann kaufte es billiger, doch es verkaufte zum alten Preis. Die Herstellungskosten sanken. Mehr noch sanken die Verlagskosten. Die Männer waren an der Front, Frauen hatten ihre Plätze eingenommen und erhielten für dieselbe Arbeit geringeren Lohn. Die meisten Kosten des regulären Verlagsgeschäftes entfielen mit dem Krieg. Anfänglich mußte man noch in erheblichem Umfang Werbung für die neue Produktion machen, dann jedoch zwang der aufkommende Rohstoffmangel, die Konkurrenz vom Markt — Bertelsmann deckte sich bis an die Grenze des Gestatteten mit Papier ein und lieferte im Mangel weiter. Bücher, die als Verlust abgeschrieben im Lager lagen, gingen als Reingewinn aus dem Haus. Die Werbung konnte und mußte per Dekret von oben zurückgefahren werden. Die Buchdistribution vereinfachte sich bei alledem: Wer an ganze Auflagen an Armeestellen verkaufte, der machte den Gewinn im Moment der Auslieferung — es gab bei diesen Ausgaben keine weitere Verwaltungsarbeit mehr mit zahllosen im Reich verstreuten Buchhandlungen. Die wachsende Produktion, die früher auf fünf Jahre verrechnet wurde, wurde nun binnen Jahresfrist verkauft. Die nachfolgende Tabelle bietet die Zahlen für die Umsatzentwicklung und in Prozent des Umsatzes die Gemeinkostenentwicklung — mit 26% rechnete das Unternehmen nach wie vor bei der Preisgestaltung. Die Gewinne wuchsen, je massiver die Kosten bei steigendem Umsatz zurückgingen; und die Kriegsgewinnabführung schöpfte die tatsächlichen Kriegsgewinne, deutlich sichtbar, nicht im entferntesten ab.
Jahr | Umsatz | Gemeinkosten | Gewinn | Kriegsgewinnabführung |
1930 | 1.245.000 | 28,5% | 150.481 | |
1931 | 1.341.640 | 23,2% | 182.657 | |
1932 | 1.030.200 | 32,3% | 68.470 | |
1933 | 1.120.543 | 27,8% | 109.782 | |
1934 | 1.076.893 | 30,8% | 49.149 | |
1935 | 1.208.259 | 25,5% | 140.195 | |
1936 | 1.379.748 | 26,1% | 108.251 | |
1937 | 1.967.991 | 24,6% | 152.577 | |
1938 | 2.688.000 | 27,0% | 229.328 | |
1939 | 3.133.321 | 21,8% | 422.218 | 42.900 |
1940 | 5.115.442 | 18,2% | 1.469.509 | 296.900 |
1941 | 8.064.903 | 7,0% | 3.251.648 | 653.900 |
1942 | 7.513.655 | 6,9% | 2.952.647 | 610.696 |
1943 | 4.884.002 | 10,7% | 1.488.979 | 291.450 |
1944 | 2.408.441 | 14,6% | -3.762 | -110.880 |
1945 | 649.978 | 28,2% | 212.472 |
1941 lief das staatliche Verfahren der Gewinnabführung an. Jede Firma, deren finanzielle Entwicklung den Verdacht aufkommen ließ, sie profitierte vom Krieg, mußte rechnerisch das Gegenteil beweisen. Heinrich Mohn und sein Wirtschaftsprüfer Fritz Möhle← machten sich an die Arbeit und lieferten den Behörden eine firmengeschichtliche Darlegung mit ausgiebigem Zahlenwerk, die die Investitionen herausstrich, die Bertelsmann in den Jahren 1936-1939 tätige, sowohl im Neubau wie in der Herstellung von Büchern. Die jetzigen Gewinne waren Investitions-Amortisationen. Zudem war Bertelsmann primär ein Verlag von Heimat- und Frauenromanen — ein Verlag, der schon alein von daher nicht vom Krieg profitierte, so Mohn. Die Behörden folgten den Darlegungen zwar nur zum Teil, blieben aber in ihren eigenen Berechnungen weit unter dem, was tatsächlich in den firmeninternen Berechungen als Kriegsgewinn aufschien.
Zwei andere Ergebnisse hatte das Kriegsgewinnabführungsverfahren: Das eine lag in der Selbstdarstellung, zu der das Unternehmen gegenüber den Behörden fand. Man vermied es bei Bertelsmann, wie positiv dies ansonsten auch gegenüber dem Regime ausgemacht hätte, offensiver als Produzent von Kriegsbüchern aufzutreten. Bertelsmann verkaufte Belletristik, "Schöne Literatur" statt wie vordem "Wissenschaft", Theologie — man blieb ein betont unauffälliges Unternehmen, eine Politik, die sich in den ersten Jahre der Bundesrepublik fortsetzen ließ, in denen Bertelsmann ein weiteres Mal fast unvermerkt zum Giganten aufstieg. Der andere Effekt war ein nicht zu unterschätzender persönlicher Gewinn, den das Unternehmen in der Beziehung zu Möhles Bielefelder Firma machte. Sie agierte wenig später als der wichtigsten Partner, im Konflikt den Bertelsmann bei Ausschöpfung der Druck- und Papiererwerbsgenehmigungen gegenüber den Wirtschaftsstellen des deutschen Buchhandels und am Ende gegenüber dem Propagandaministerium riskierte.