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Willkür, Wildwuchs und neuartige Effizienz
Ein kleiner Streifzug durch Theorie und Praxis der Zensur im Dritten Reich

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Viereck Olaf Simons, 2004

Vorbemerkung

Die Seiten des Polunbi-Projektes werden absehbar in der rechtsnationalen Szene von größtem Interesse sein - sie offerieren Originaldokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus, umfassen das späte Kaiserreich und die Weimarer Republik wie die ersten Nachkriegsjahre. Mit der nochmaligen Veröffentlichung der Zensurlisten der Sowjetischen Besatzungszone wird die vorliegende Datenbank praktischeren Zugriff als die rechtsnationale Konkurrenz auf die geheime Bibliographie des Nationalsozialismus bieten.

Das legt es nahe, an selber Stelle die Darstellungen gegenzugewichten, mit denen die Nachkriegs-Zensurlisten bislang vertrieben wurden: Unter der Überschrift "Die größte Büchervernichtungsaktion der Geschichte" versucht Martin Lüders (der vollständige Aufsatz erschien in Nation und Europa, 47. Jg., Heft 9/1997, S. 7-11) auf den Seiten der http://www.vho.org den Nachweis, daß eine nennenswerte Büchervernichtung im Dritten Reich gar nicht stattfand, wohl aber eine solche unvorstellbare Ausmaßes unter den Alliierten Behörden in der Nachkriegszeit. Verfolgt wurden nach 1945, so die Darstellung, bekennende Nationalsozialisten und Unschuldige, die versehentlich in Verdacht gerieten - ein einziger Bick auf die Listen mußte das bestätigen. Zudem schlugen die Sowjet-Listen die Listen aus dem Dritten Reich allein schon im quantitativen Volumen.

Tatsächlich sind die überlieferten Zensurlisten des Dritten Reichs eine wenig aufregende Lektüre. Sie erschienen deutlich in der Tradition der Polunbi, der Zentralen Polizeistelle zur Verfolgung unzüchtiger Bilder und Schriften, erweitert jetzt um marxistische und jüdische Publikationen - um Publikationen, die nach 1933 kaum noch Gewicht im Staate hatten.

Die tatsächliche Zensurpraxis lief - und das verbirgt jeder Verweis auf die Listen - von den ab 1935 geheimen Aufstellungen losgekoppelt. Sie wird sichtbar, sobald man Theorie und Praxis trennt. In dem Zusammenhang ist zudem zuzugestehen, daß die Bücherverbrennungen des Jahres 1933 durchaus nur Schauveranstaltungen waren. Hier wurden tatsächlich nicht nennenswerte Mengen an Büchern verbrannt, sondern herausgegriffene Autoren exemplarisch dem Feuer überantwortet. Die tatsächliche Zensur im Dritten Reich geschah von alledem unabhängig in Razzien, in Schließungen von Buchhandlungen, in Sicherstellungen und Beschlagnahmen ganzer, bei Verlagen noch lagernder Ausgaben - und sie erfaßte, was schwerer wog als jede Vernichtung von Papier: Menschen, die von Sondergerichten abgeurteilt wurden, die Berufszulassungen verloren, emigrieren mußten, in KZs umkamen - hier war überhaupt kein Regime der Deutschen Geschichte brutaler. Die Wirklichkeit des Nationalsozialismus spiegelt sich durchaus nicht in den geheimen Listen wieder, die unter Ägide des Propagandaministeriums entstanden. Diese notierten nicht einmal die Bücherverbote, die das Ministerium nachweislich gegenüber Verlagen aussprach. Die nachfolgenden Ausführungen sollen knapp mit Einblicken in die Zensur-Praxis des Dritten Reichs aufwarten - in Buchhandlungen und Verlage Einblick nehmen wie in Ministerien. Sie werden ein uneinheitliches zersplittertes Bild der nationalsozialistischen Machtausübung geben, denn auch dies wird gesagt werden müssen gegen alle Glorifizierung des Regimes. Gerade die Literaturpolitik des Dritten Reichs zeigt, daß dieses selbst im Wildwuchs wucherte, zerrissen, zersplittert, in Intrigen verstrickt wie, dank des wachsenden Medienkonzerns über den das Regime verfügte, in kommerziellen Interessen verfangen.

Die nachfolgenden Ansichten des Lebens im Nationalsozialismus werden Skizzen bleiben. Die systematischere Darstellung des gesamten Bereichs nationalsozialistischer Literaturpolitik gelang Jan-Pieter Barbian mit seinem Buch Literaturpolitik im "Dritten Reich". Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder in zweiter Auflage zuletzt 1995 bei dtv erschienen und jedem anempfohlen, der tiefere Einblicke in das Regime sucht.

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Bücherverbrennungen, Loyalitätskundgebungen freiwillige Zensur und Anpassung im Erdrutsch des Jahres 1933

Wofür und wogegen die Nationalsozialisten standen, darüber mußte 1933 nicht mehr beraten werden. Die NSDAP war nicht zuletzt in langwierigen Pressekämpfe an die Macht gekommen. Die Parteipropaganda hatte sich gegen den "verjudeten Kulturbetrieb" gestellt, gegen die "Asphaltliteraten", gegen die modernen Wissenschaften, die in linksintellektuellen Kreisen Achtung fanden, gegen die Psychoanalyse, gegen die Relativitätstheorie, gegen Marxisten, Sozialisten und mehr noch gegen den gesamten Austausch zwischen den Parteien, der Streit brachte statt die überfällige nationale Einigung.

Propyläen-Verlag im Börsenblatt vom 29.3.1933

Anzeige des Propyläen-Verlags im Börsenblatt vom 29.3.1933
 
(Die bekannten Auslassung von Lion Feuchtwanger in einer englischen Zeitschrift über die augenblickliche Lage in Deutschland geben uns Veranlassung, den Vertrieb der beiden bei uns erschienenen Bücher von Feuchtwanger einzustellen: Das sind der zur Zeit Vespasians spielende historische Roman "Der Jüdische Krieg" und das Dramenwerk "3 angelsächsische Stücke" Berlin, 27. März 1933 Der Propyläen-Verlag)

 

Mit der Machübernahme ging eine Welle der Loyalitätsbekundungen durch das Land. Die Gleichschaltung war ein langfristiges Ziel. Kurzfristiger war ein ganz anderes erreichbar: Kurzfristig konnte das Regime Freiräume garantieren, in denen jeder Einzelne sich hervortun konnte mit Umsetzungen der neuen Politik. Bibliotheken wie die Münchner Stadtbibliothek, meldeten, noch bevor die ersten Listen auszusondernder Titel bei ihnen eintrafen, ihren Trägern, daß sie jüdische, marxistische und psychoanalytische Schriften aus den Katalogen und den öffentlichen Beständen entfernt hatten. Buchhandlungen boten sich Behörden als regiemtreue Lieferanten an - unter Hinweis darauf, daß ihre Belegschaften rein arisch und ihre Bestände einwandfrei waren. Die Verlagswelt zog mit. Im Börsenblatt verkündeten die renommiertesten Verlagshäuser ihre Bereitschaft, den Wandel zu unterstützen. Goldmann insistierte darauf, rein arisch, ja von deutschem Adel zu sein. Man hatte den Titel lediglich in der nationalen Euphorie des Jahres 1813 abgelegt. Langen/Müller attackiert am 22.3 und 3.4.1933 Ullstein, den bisherigen Konkurrenten beim Verlag der Werke Hans Grimms: Ullstein habe dessen Ölsucher von Duala im ersten Weltkrieg im Auftrag des Auswärtigen Amtes verlegt - ohne an dem Erfolg des Titels interessiert gewesen zu sein. Langen/Müller wage nun die Neuausgabe und werde Ullstein beweisen, daß Grimm berühmter werde als Remarque, den Starautor des Ullstein-Verlags, für den jeder jetzt nur noch "edles Angedenken" empfinde. Die Ullsteintochter Propyläen trennte sich am 29.3. in ganzseitiger Anzeige von ihrem Autor Lion Feuchtwanger. Rowohlt, bislang ein Verlag der kritisch und links erscheinen konnte, pries in großer Anzeige Wilhelm Schermanns Woher kommt das Hakenkreuz? (Börsenblatt, 17.6.1933, S. 2924) - und geriet in Verdacht, das Fähnlein schonungslos nach dem Wind zu hängen. Der evangelisch theologische Verlag C. Bertelsmann in Gütersloh, der soeben erst begann, Belletristik zu verlegen, ließ in der Werbung einen SA-Mann für die eigenen Autoren sprechen. Andere Verlage verkünden, daß sie gar nicht umschwenken mußten. Hitlerbiographien, Hitlerbildnisse, Bücher zu den Männern um Hitler, Bücher zu den ersten Wochen des neuen Staats überfluteten den Markt. Die HJ marschiert, Adolf Hitler spricht, Rasse und Seele, Reich im Werden, Werdendes Volk, Ordnung im Staat, Adolf Hitler - der Erzieher der Deutschen lauteten die Titel der ersten inszenierten Selbstanpassung.

Die erste Welle der Gleichschaltung geschah 1933 freiwillig und unter Aussicht auf Profite, die regimekonforme Unternehmen und Autoren erwarten konnten. Hatten die nationalsozialistischen Propagandisten nicht genau dies seit Jahren angeprangert: daß die Falschen im alten System bevorzug wurden? Nun galt es, die neue Bevorzugung frühzeitig zu sichern, und dies schien allgemein zu erwarten: daß das neue Regime gezielt als Regime der Bevorzugungen arbeiten würde.

Die Bücherverbrennungen, zu denen es 1933 kam, waren Schauveranstaltungen mit Signalwirkung. Die zentrale Veranstaltung inszenierte Goebbels in Berlin mit Einsatz von Studenten und SA. Vor allem die Universitätsstädte des Reichs zelebrierten die öffentlichen symbolischen Hinrichtungen, bei denen es durchaus nicht darum ging, Material zu vernichten, das aus Buchhandlungen und Bibliotheken entfernt worden war. Man überantwortete die Werke weniger ausgesuchter Schriftsteller in Ankündigung Bücherverbrennung - Archiv für Kunst und Geschichte, Berlinder neuen Zeit demonstrativ den Flammen. Juden, Marxisten, namhafte Linksintellektuelle hatten, so der Tenor der Veranstaltungen, im neuen Regime ausgespielt.

Linken und jüdischen Kreisen war das Signal zur Emigration gegeben. Mit der Einführung der Berufserlaubnis - ohne die Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer konnte am Ende niemand mehr publizieren - sollte sich das System dort perfektionieren, wo es galt, regimekritisches Schrifttum gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Wer dem Regime 1933 kritisch gegenüberstand, duckte sich erst einmal. Die breite Masse, der "kleine Mann", der "normale Bürger" verfolgte, was geschah, mit Zweifel darüber, ob die neue Selbstzensur und die Ankündigung eines harten Durchgreifens gegen allen Widerstand seitens des neuen Regimes, nicht einen ganz eigenen Segen entfalten würde. Mit Parteienkontroversen, mit der ganzen schwer verständlichen und in elitären Kreisen diskutierte modernen Kunst, genauso mit dem, was die Wärter der Bildung bislang bekämpften: Groschenhefte, Pornographie, Esoterik - mochte jetzt kurzer Prozeß gemacht werden. Die neue Regierung versprach nichts als den Sieg des "gesunde Volksempfindens". Vielleicht wäre man beunruhigt gewesen, wenn die großen Namen des kulturellen Lebens sich geschlossen gegen das Regime gestellt hätten. Maler, Komponisten, Schriftsteller von Rang und Namen und öffentlichen Positionen in Verbänden, an Akademien und Hochschulen boten sich jedoch dem neuen Regime dankbar an. Dem "kleinen Mann" mochte wenig geschehen, wenn die bislang ihm verschlossen gebliebenen Kultur wegfiele. Die großen Werke der Kunst von Dürer bis in die deutsche Romantik, die großen Namen der Literatur von Goethe bis Schiller, die großen Namen der Musik von Bach bis Beethoven blieben erhalten und gewürdigt. Stabile Verhältnisse kehrten womöglich ein - eine trügerische Aussicht.

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1933-1935: Das neue Regime bemächtigt sich des alten Apparats - die Zensur wächst in aller Öffentlichkeit

Die behördlich ausgeübte Zensur blieb mit der "Machtergreifung" im Kompetenzbereich der Kriminalpolizeibehörden der einzelnen Länder, die zuvor bereits nach "Schmutz- und Schundschriften" fahndeten. Die Polunbi, die Zentrale Polizeistelle zur Verfolgung unzüchtiger Schriften, blieb intakt und gab weiterhin Jahresberichte heraus. Ein Führererlaß gab 1933 die den Verfolgungsorganen zu den bestehenden die Handhabe, auch gegen politische und jüdische Literatur, sowie psychoanalytische Schriften vorzugehen. In der Weimarer Republik schritten Polizeikommissare und Straßenpolizisten die Straßen ab, offenen Auges nach Anstößigem suchend. Pornographie wurde unter Postkarten verkauft, sie versteckte sich unter sexualwissenschaftlichen Aufklärungsschriften in verdächtigen Schaufensterauslagen und tarnte sich als Kunst. Man konfiszierte, was auffällig schien, übergab es den Landesgerichten zur Prüfung, die wiederum Gutachter beschäftigten und unter Umständen ein Zensurverfahren einleiteten. Zum Kampf gegen offen und verdeckt verlegte Schriften kam der Kampf gegen einzelne Individuen, die sich in Wirtshäusern aufhielten und, kannte man sie, einem und auf Nachfrage Pornographien beschaffen konnten. Mühsam erfaßte die Zentrale Polunbi-Stelle in Berlin, was unkoordiniert in der Polizeihoheit der Länder geschah. Im Preußischen Kriminalpolizeiblatt erschien in regelmäßigen Abständen eine Liste inkriminierter Literatur. Das Börsenblatt für den deutschen Buchhandel inserierte wiederum, was sich hier an Verbotsinformationen fand. Der Buchhändler konnte, wenn er die Sparte verfolgte, seinen eigenen Bestand von beanstandeten Schriften freihalten. Dies Praxis gedieh nach 1933 weiter. Zu den "Schmutz und Schund"-Titeln kamen nun die per Führererlaß der Verfolgung anheimgestellten Sparten. Es wurde jetzt mehr verboten als früher - einzelne Titeln wurden neben komplett verbotenen Autoren Verlagshäusern genannt. Am Ende eines jeden Jahres hatte das Börsenblatt seit jeher ein Jahresregister offeriert. 1933 wuchs dieses an, da es in einer Neuerung nun alle Titel notierte, die im vorangegangenen Jahr einzeln verboten worden waren.

Das Börsenblatt legte damit die ersten Zensurlisten des neuen Staates vor. Das Register wuchs dabei massiv von 1933 auf 1934. Am 22.1.1935 reflektierte ein Artikel des Börsenblatts die Bedeutung, die das Registers gewonnen hatte - mit werbendem Unterton: Das Börsenblatt machte sich den Behörden und den Buchhändlern unentbehrlich. Den Behörden gefiel das Register jedoch durchaus nicht. Im Lauf des Jahres 1935 erschienen noch Nummer für Nummer unter der Rubrik "Verbotene Druckschriften" die inkriminierten Titel, Autoren und Verlage. Das Gesamtregister des Jahres 1935 umfaßte jedoch nicht mehr die Liste aller beanstandeten Titel.

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1935-1939: Die Einführung geheimer Zensurlisten erweitert den Spielraum behördlicher Willkür

Hatte man 1933 die Zensur noch im Triumphzug des gesunden Volksempfindens gefeiert, so sah die Lage 1935 anders aus. Deutschland richtete 1936 die Olympiade aus. Das junge Reich sah die Augen der Weltöffentlichkeit auf sich geheftet - und sich dem Vorwurf ausgesetzt, es habe sich zu einer Diktatur entwickelt. Es machte sich nicht gut, wenn wachsende Listen von den Buchhändlern beachtet werden mußten - und zu allem Überfluß auch noch offen verlegt erschienen. Was schwerer wog: Das Regime hätte sich mit einer offiziellen Liste die Hände gebunden. Die im Börsenblatt veröffentlichte Liste bot dem Buchhandel keinerlei rechtliche Handhabe - es gab im neuen Regime keine Handhabe gegen Razzien und Buchbeschlagnahmen. Goebbels empfahl am 7.3.1934 [BAB 43 II/1150] den Polizeibehörden, überhaupt nur noch vorläufige Buchverbote auszusprechen. Die Vollstreckungsorgane sollten verdächtige Titel ohne Verweis auf eine Liste einsammeln. Im Propagandaministerium und der Reichsschrifttumskammer, mit der das Ministerium zusammenarbeitete, würden die eingesandten Titel sodann beurteilt und bei vorliegender Notwendigkeit offiziell verboten.

Typisch sind die Erfahrungen, die die Buchhandlung Hugendubel in München in jenen Jahren machte: Das Unternehmen hatte sich dem Außenministerium, das für seine Bibliothek als öffentlicher Kunde auftrat, 1933 als loyales und angepriesen. Die Einsatzkräfte der Gestapo hinderte das nicht daran, der Buchhandlung schon bald regelmäßige Besuche abzustatten. Der erste verlief harmlos und noch ganz in der Tradition solcher Besuche. Der Bericht des Kriminaloberkommissärs, der die Untersuchung durchführte liest sich unspektakulär.

Ebenso unspektakulär reagierte 1933 noch der Buchhändler:

Ganz anders gestaltete sich die Lage vier Jahre später. Karl Hugendubel, der die Buchhandlung organisatorisch leitete, kostete eine im Juli 1937 vorgenommene Untersuchung, nachdem sich auch diesmal große Mengen von Büchern konfiszieren ließen, die Berufszulassung. Die Münchner Gestapo erstattete den internen Bericht.

Begehrte der Buchhändler, vor dessen Geschäft die Gestapo mit dem Lastwagen vorfuhr, eine Liste, nach der er seinen Bestand selbst reinigen konnte, um dergleichen Schaden in Zukunft zu verhindern, erhielt er die lapidare Antwort, daß die Liste geheim sei. Der anständige und einwandfreie Buchhändler wüßte, so mußte er sich sagen lassen, selbst, welche Bücher er verkaufte, was gut und was schlecht war. Die Zensur hatte er zu leisten, nicht die Gestapo, die nur noch einschritt, wenn er seine Aufgabe nicht erfüllte. Der Buchhändler erhielt keine Rückmeldung, wieviel der beschlagnahmten Bücher tatsächlich innerbehördlich später noch der Beschlagnahme für wert befunden wurden.

Ganz ähnlich wurden Verlage von der Zensurpraxis betroffen. Man kann die geheimen Zensurlisten durchgehen, die im Propagandaministerium entstanden - sie listen Pornographie, jüdisches und marxistisches Gedankengut, die Produktion obskurer, längst verbotener Verlage. Ein Verlag wie C. Bertelsmann - das Unternehmen entwickelte sich ab 1935 zu einem gewichtigen Produzenten nationaler Belletristik - findet sich in den Listen nie und dennoch wurde das Unternehmen wiederholt von der Gestapo heimgesucht. Die Beanstandungen begannen mit theologischen Titeln, wie man sie bis 1935 noch mit Gewicht verlegte. Daß hier ein kirchlicher Verlag Luther für die SA herausgab, konnte nicht angehen - hier schickte sich ein konfessionell suspektes Haus an, den Nationalsozialismus zu unterwandern. Der Kleine Katechismus für den braunen Mann wurde verboten, ohne daß dies sich in der offiziellen Literaturpolitik und in den geheimen Zensur-Listen niederschlug. Daneben wurde indes auch ganz unvorhergesehen sichergestellt und beschlagnahmt. Werke, die nie eine Beanstandung erregt hatten, Werke angesehener nationalsozialistisch engagierter Schriftsteller konnte das treffen. Herbert Volck, protegiert in den dreißiger Jahren, stürzte 1942 in einer Intrige hinter den Kulissen des Regimes, mit der Folge, daß Bücher, die das aktuelle Regime gefeiert hatte, nun aus den Auslagen verschwinden mußten und vom Verlag nicht mehr ausgeliefert werden durften. Bücher, mit denen das Regime vor dem Krieg noch die Hand in Richtung England und Sowjet-Union ausstreckte, wurden im Krieg beanstandet. Die Gestapo nahm die Sicherstellung vor, das Propagandaministerium ordnete die Beschlagnahme an. Hans Grimms Englische Rede von 1938 traf das 1943. Frieda H. Krazes, alias Heinz Gumprechts Magische Wälder von 1933 hatte der selbe Umschwung kurz vorher getroffen. Bei Bertelsmann rückte die Gestapo mehrfach im Jahr an und die Verlagsmitarbeiter reagierten kooperativ auf die Beanstandungen, die das Propagandaministerium oft, wie man hausintern wußte, nur unter politischem Druck aussprach.

Weder Hugendubel noch Bertelsmann gebärdeten sich Mitte der dreißiger Jahre als regimekritische Unternehmen. Beide Unternehmen hatten Fürsprecher im Propagandaministerium, an die sie sich bei Schwierigkeiten wenden konnten. Das verhinderte nicht, daß beide Unternehmen wie nahezu alle anderen die Hand des Staates wieder und wieder bei Zensureingriffen zu spüren bekamen. Tatsächlich wurden große Mengen an Büchern abtransportiert und vernichtet, ganz ohne daß dies einen nennenswerten Aktenniederschlag irgendwo fand - mehr noch: Man lernte im Buchhandel wie im Verlagswesen mit diesen Unbilden zu leben. Linke und jüdische sowie streng-kirchliche Verlage wurden geschlossen - aus politischen Gründen gleich zu Beginn des Regimes die ersteren, aus kriegswirtschaftlichen Gründen im Verlauf des Krieges die anderen. Der reguläre Buch- und Verlagsbuchhandel prosperierte jedoch im Dritten Reich und das bei anhaltender und sich verschärfender Zensur. Das hatte mit den unklaren Machtverhältnissen innerhalb des Regimes zu tun und mit der Einführung der Kriegswirtschaftsbestimmungen sodann im Verlauf des Krieges.

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Regimeinterne Rivalitäten: NSDAP und PPK gegen das von Goebbels geführte Propagandaministerium

Es gelang dem von Goebbels geführten Propagandaministerium bei allen Bemühungen, die Organe der Weimarer Republik seiner eigenen Arbeit gefügig zu machen, nicht, eine koordinierte, einheitliche Literaturpolitik auf die Bahn zu bringen. Mächtige Institutionen wie das Amt Rosenberg und die Reichsschrifttumskammer richteten sich mit dem neuen Reich ein. Vor allem die NSDAP verfolgte im Spiel der Kräfte eigene Interessen - hart ausgedrückt als kommerzieller Medienkonzern, der über die Parteiorganisation als primäres Absatzinstrument verfügte. Adolf Hitler war mit dem größten eigenen Interesse im Geschäft: Er war Miteigner des Zentralverlags der NSDAP, Franz Eher, Nachf. München. Hier erschienen seine Schriften - allen voran Mein Kampf. Das Buch hatte sich dank der Partei in den Jahren vor 1933 bereits gut verkauft. Auf Staatskosten in den Standesämtern ausgegeben wurde es nach 1933 zum Millionenerfolg, den sich Hitler selbst schützte, indem er verbieten ließ, das sein Kampf in Antiquariaten verkauft wurde. Sein Autorenhonorar belief sich bei 9,84 Millionen abgesetzten Exemplaren (die bis auf die ersten 323.000 alle im neuen Staat "verkauft" wurden) am Ende auf 7,9 Millionen Reichsmark - eine unter Autoren vollkommen exorbitante Honorarsumme.

Eher kaufte: Ullstein, die Hanseatische Verlagsanstalt, Langen-Müller und Zeitungen in noch weit größerem Umfang. Das Ziel war die Monopolstellung der Partei in der Medienlandschaft - Einfluß auf die Zensur schloß das ein.

Mitte der Dreißiger griffen verschiedenste Interessenten auf die Gestapo zu, wenn es galt, Bücher bei Verlagen vorläufig sicherzustellen und Buchhandlungen zu durchsuchen. Es genügte die Anzeige und die Vollzugsorgane schritten, war das Interesse machtvoll vorgetragen, ein. Im Propagandaministerium blieb man mit der Erstellung der ersten gültigen Zensurliste beschäftigt. Die Titel, die eingingen, wurden mit der Reichsschrifttumskammer geprüft. Der Zentralverlag der NSDAP fand in diesem Gefüge seinen verlängerten Arm in das Terrain der Zensur mit der am 21.4.1934 gegründeten "Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums," kurz PPK, deren Leitung Philipp Bouhler übernahm.

Hatte sich der Nationalsozialismus 1933 unter einer Fülle von Loyalitätsbekundungen ausgebreitet, so mußte die NSDAP spätestens mit der Machtübernahme einen eigenen Schutz vor Vereinnahmungen entwickeln. Es mußte verhindert werden, daß rechtsnationale Kleinverlage zum Sammelbecken von unkontrollierten übereifrigen Autoren wurden, die sich anschickten, als bekennende Nationalsozialisten die Politik des neuen Staates zu gestalten. Großverlage machten ihr eigenes Geschäft im Schwenk in die neue nationalsozialistische Produktion - und das war nicht nur begrüßenswert, da es die Bewegung unterstützte, es war zudem gefährlich, da die Bewegung Kontrolle über ihre offizielle Politik bewahren mußte. Für den Zentralverlag der NSDAP war diese Produktion zudem zunehmend ärgerlich, da diese Verlage dem Parteiverlag auf seinem ureigenen Geschäftsfeld Konkurrenz machten.

Die "Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums" erstellte eine Positiv-Liste des NS-Schrifttums und befehligte unkontrolliert über die Verfolgungsorgane, um Schriften zu beschlagnahmen, die sich nach dem Kommissions-Urteil ungerechtfertigt anmaßten, die Politik des neuen Regimes zu bieten.

Während der Zentralverlag der NSDAP begann, die Presselandschaft durch Käufe und Übernahmen zu monopolisieren, und während die PPK ihre eigene Zensurpolitik mit Eingriffen gegen Buchhandlungen und Verlage im Sinne des wachsenden Gesamtkonzerns der Partei betrieb, steuerte das Propagandaministerium gegen: Es mußte verhindert werden, daß die Partei ein Medienmonopol errang. Der Zentralverlag der NSDAP würde sich mit seinen zahllosen Töchtern am Ende keiner Politik des Propagandaministeriums unterwerfen lassen. Es konnte in diesem Zusammenhang insbesondere nicht geduldet werden, daß die PPK gleichen Anspruch auf die Erstellung von Zensurlisten erhob wie das Propagandaministerium. Hinter den Fehden taten sich persönliche Feindschaften auf. Bouhler kämpfte gegen Goebbels und gewann in Martin Bormann einen machvollen Partner. Bormann brache Konflikte vor den Führer, der geheim entschied und Bormann die Entscheidung wiederum vermitteln ließ. Goebbels rang um eigene Macht gegenüber Hitler - die Zensurpolitik rutschte in das Feld dieser Rivalitäten. Die Konflikt eskalierten, als mit dem Krieg die Karten zugunsten des Propagandaministeriums neu gemischt wurden.

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1939-1945: Militärzensur und Rohstoffbewirtschaftung, Vorzensur, Planwirtschaft und regimeinterne Konflikte

Eine Vorzensur traf im Nationalsozialismus Autoren, mißliebige Verleger und Buchhändler, die die Zulassung der Reichsschrifttumskammer verloren - sie wurden effektiv an aller weiteren Arbeit gehindert. Die offizielle Zensur blieb jedoch rechtlich gesehen bis 1939 eine reine Nachzensur: Die Verlage publizierten, die Buchhandlungen verkauften, die Verfolgungsorgane schritten erst im Nachhinein ein mit Beanstandungen. Das war die effizienteste Form der Zensur, denn sie verlagerte das Risiko, beanstandet zu werden, auf die Autoren und die Verlage. Das Regime hielt sich die Möglichkeit offen, jederzeit nachträglich an einem Titel Anstoß zu nehmen.

Mit dem Krieg wurde es unumgänglich eine Vorzensur in Teilbereichen einzuführen. Kriegsbücher waren seit 1935 ein Renner auf dem Buchmarkt. Als 1939 die Frontberichterstattung das Geschäft ergänzte, mußte verhindert werden, daß sich in den Büchern, Artikeln und Filmen über den laufenden Krieg, so sehr es dem Regime am Herzen lag, daß sie in großer Menge produziert wurden, Details fanden, die der Feind nutzen konnte. Der Vorzensur wurden zudem alle Bücher unterworfen, die an die Front gingen - eine ab 1939 rasch wachsende belletristische Produktion. Es galt zu verhindern, daß die Soldaten mit zersetzender Lektüre in Berührung kamen.

Im Propagandaministerium wurde mit eigenen Stellen der Waffengattungen die militärische Vorzensur eingeführt. Ihr mußten alle Schriften, die militärische Belange tangierten oder für die Front bestimmt waren, im Manuskript vorgelegt werden. Aus Photos vom Kriegsgeschehen wurden alle Schriftzüge herausretuschiert, die es Betrachtern erlaubt hätten, einzelne Schiffe und Flugzeuge zu lokalisieren. Truppennennungen und Namen realer Protagonisten galt es zu meiden - nach derselben Maßgabe durfte in Todesmeldungen in den Zeitungen nicht abgedruckt werden wo der Gemeldete gefallen war - es sollte dem Feind unmöglich bleiben, Informationen über Truppenbewegungen und -Verluste aus Groschenheften von Heldentaten und aus den privaten Anzeigenseiten von Zeitungen zu beziehen. Verlage erregten hier Unmut, wenn sie die Zensur auf ein schnelles Geschäft umgingen - die militärische Stelle arbeitete effizient und an der raschen Kriegsberichterstattung interessiert effizient. Sie half zudem Verlagen, die eine befreundete Position gewannen mit Hinweisen auf Heeresangehörige weiter, die über die Ereignisse neue Berichte beisteuern konnten.

Regimeintern verschoben sich an dieser Stelle die Machtverhältnisse. Das Propagandaministerium begann mit der Wehrmacht eine große Allianz zu bilden - diese wiederum lief mit kommerziellen Beziehungen in die Verlagswelt und zwar durchaus nicht in erster Linie in die Verlagswelt hinter der der NSDAP-Konzern stand. Wehrmachtsangehörige verdienten neiderweckende Summen mit Büchern wie sie Bertelsmann in Hunderttausender-Auflagen brachte. Korvettenkapitän a.D. Fritz Otto Busch machte allein mit seinem Narvik-Buch bei Bertelsmann einen Gewinn von über 300.000 Reichsmark. Man diskutierte innerhalb der Wehrmacht, ob es angehen konnte, daß der Krieg dergleichen Gewinne schreibwilligen Kriegsteilnehmern schenkte und entschied sich, um den Fluß dieser Ware zu erhalten, die privaten Kriegsgewinne zuzulassen.

Bertelsmann im Börsenblatt

Anzeige des Verlags C. Bertelsmann im Börsenblatt vom 25.10.1940
 
Anfang November gelangt zur Ausgabe Korvettenkapitän d.R. Fritz Otto Busch, Narvik. Vom Heldenkampf deutscher Zerstörer. Mit Geleitwort von Großadmiral Dr. h. c. Raeder. 1.-150. Tausend. 408 Seiten. Mit 100 Fotos und Gefechtsskizzen. Leinen RM 5.80. Nach Erlebnisberichten unserer Norwegen-Kämpfer ersteht hier in packenden Bildern der unsterbliche Wikingerzug deutscher Zerstörer nach Narvik. Nach tollkühner Sturmfahrt landen sie Gebirgsjäger, kämpfen selber sich opfernd gegen englische Übermacht bis zum letzten Torpedo. Die Überlebenden halten aber nach dem Tode ihres Kommodore Bonte in der Mondlandschaft eisiger Fjorde mit den Ostmärkern des Generals Dietl kampfreche Wacht, bis Bomber und im Seegefecht bei Jan Mayen deutsche Schlachtschiffe den endlichen Rückzug des Feindes aus Narvik erzwingen. — Das Buch erscheint in gediegener Ausstattung mit mehrfarbigem Schutzumschlag. C. Bertelsmann Verlag Gütersloh

 

Anders sah die Situation aus sich der PPK und des NSDAP-Verlages aus. Das Propagandaministerium hatte, ging es um Konfiskationen, die letztinstanzliche Macht über die Polizeibehörden gewonnen. In einer über Bormann verlaufenden Initiative drängte der PPK-Leiter Bouhler auf eine Erlaubnis des Führers, selbst Verbotsmaßnahmen aussprechen zu dürfen. Die Antwort auf die Initiative erhielt Goebbels empört über Reichsminister Lammers. Die PPK sollte, so wollte es der Führer, wie das Propagandaministerium Verbote aussprechen können. Das barg den Vorwurf, das Goebbels-Ministerium arbeite so ineffizient, daß der PPK die eigene Kompetenz zugestanden werden mußte. Bormann schien eine unumschränkte Macht zu nutzen - das Propagandaministerium mußte ihr vorbeugen, denn ein weiteres war absehbar: Die PPK würde mit dem neuen Erlaß in die Lage kommen beliebig gegen Konkurrenten des NSDAP-Medienkonzern vorgehen zu können. Der Konflikt eskalierte hinter den Kulissen um Fritz Otto Buschs bei Bertelsmann erschienenes Narvik Buch. Der Fall war überaus pikant. Als die PPK im April 1941 Anstoß an dem Buch nahm, hatte dieses die Vorzensur der Marine innerhalb des Propagandaministeriums bereits passiert. Beanstandung fand die Einleitung des Buches, die einen Feldgeistlichen den Part übernehmen ließ, die Soldaten moralisch für den Kampf zu rüsten. Im neuen Regime stand, so der Tenor, die Kirche hinter den Soldaten und hinter dem Staat - eine unerträgliche Darstellung, so die PPK im Nationalsozialismus, der die Soldaten allein auf Hitler einschwor. Kein Widerspruch - entgegnete Großadmiral Raeder in der Hoffnung er könne den Streit beenden, bevor er die gesamte Marine in Mißkredit zog. Bouhler beschwichtigte - man habe die Schrift ja nicht verboten, man verweigere ihr nur die Aufnahme in die Liste des offiziellen NS-Schrifttums. Hinter den Kulissen drang Bouhler dessen ungeachtet über Bormann darauf, daß Hitler das Buch, das vom Propagandaministerium genehmigt worden war, verbot. Hitler tat dies so Bormann nach der Besprechung, die diesbezüglich unter vier Augen stattgefunden haben sollte, mit der Bitte, daß das Verbot nicht mit seinem Namen verbunden würde. Das Propagandaministerium mußte Bertelsmann darüber informieren, daß der Titel trotz der bereits erteilten Zulassung und des geschehenen Verkaufs in Hunderttausender-Auflage nicht weiter verlegt werden dürfe - und wird sein Bedauern über den Vorfall ausgedrückt haben. Im Konkreten Konflikt hatte es gegenüber dem Parteikonsortium und der konkurrierenden Zensurstelle den Kürzeren gezogen.

Wenig später wurden die Karten ein weiteres Mal neu gemischt: Mit fortschreitendem Krieg wurden die Reglungen, die den Verbrauch von Rohstoffen gestatteten, verschärft. Zudem schrieb das Propagandaministerium sich den Feldzug für den "Totalen Krieg" auf die Fahnen. In einer Kooperation mit den Wirtschaftsstellen wurde die Papierkontingentierung eingeführt: Jedes Verlagsprojekt mußte ab 1942 im Voraus genehmigt werden - es erhielt ansonsten keine Papierzuteilung. Schließungslisten entstanden auf der anderen Seite: Um Arbeitskräfte für den Fronteinsatz freizusetzen, wurden alle nichtkriegswichtigen Unternehmen geschlossen - in einer ersten Welle traf dies den Buchhandel 1943, in einer zweiten im August 1944. Es konnte unter diesen Bedingungen ab 1942 letztlich nur noch produziert werden, was zuvor grünes Licht aus dem Propagandaministerium erhielt. Bücher wurden kostbar - zu kostbar, um sie einem Gerangel um Verbote zu unterwerfen. Wenig später ging das Dritte Reich in Schutt und Asche unter. Opfer von Zensurmaßnahmen geworden zu sein, gewann mit dem Sommer 1945 ganz neue Bedeutung.

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Fazit: Willkür und Freiheit im chaotischen System - von der Effizienz und der Ineffizienz des Dritten Reichs

Jan-Pieter Barbian sprach wohlbedacht nicht von "Literaturpolitik des 'Dritten Reichs'" sondern von "Literaturpolitik im 'Dritten Reich'". Das Dritte Reich entwickelte keine uniforme Literaturpolitik - es fand in der Literaturpolitik eher ein Feld, indem sich die Machtausübung in ihrer ganzen Planlosigkeit und Zerrissenheit neu manifestieren konnte. Hitler machte Zielvorgaben und begünstigte nach Belieben unter denen, die sich um seine Gunst bewarben und ihm versprachen, Politik in seinem Sinne zu machen - das Ergebnis war, daß gerade der ungeordnete Machtapparat eine unheimliche Effizienz gewann. Es hatte Vorteile sich besonders hervorzutun - einzelne Autoren, Verlage, Buchhandlungen taten dies ab dem ersten Tag des neuen Regimes. Man wird nicht mehr erfahren können, welche Massen an Büchern von eifrigen Beamten aus ihnen suspekt erscheineinenden Buchhandlungen geräumt wurden, welche Verlage aufgrund welcher Intrigen Besuch der Gestapo erhielten, welche Auflagen nach einer vorläufigen "Sicherstellung" eingestampft wurden. Bücher wurden im Dritten Reich in weit größerem Umfang vernichtet als die Zensurlisten vermuten lassen. Darüber könnte man noch die Schultern zucken - auf einem anderen Blatt steht, daß die Literaturpolitik der kurzen Ära Leben kostete - und dies war durchaus neu in der Deutschen Geschichte: die gesamte Rhetorik von physischer Vernichtung, die das neue Regime gegen alle in Anschlag brachte, die ihm mißliebig erschienen und die gewaltige Organisation von Sondergerichten, die die Arbeit aufnahm, diese Vernichtung zu bewerkstelligen.

Wiederum auf einem anderen Blatt steht, wie das Regime seinen eigenen Kredit letztendlich auf dem eröffneten Gebiet verspielte: Liest man sich durch Zensurakten des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des Dritten Reichs, so wird man das Dritte Reich unserer eigenen Gegenwart zurechnen. Tatbestände wie Majestätsbeleidigung entfielen, die Beobachtung der Verlagswelt wurde professionalisiert. Ständevertretungen und Berufsorganisationen wurden eingerichtet, es wurde geplant und verwaltet - und es wurde nicht nur negativ eingeschritten. Weit wichtiger noch wurde die Positive Literaturförderung - die Verwaltung von Fördergeldern, die Arbeit von städtischen Kulturämtern, wie das neue Regime sie gründete - eine dynamische auf Effizienz bedachte Organisationsform zog ein mit viel konziserer behördeninterner Sprache.

Ineffizient wurde das Regime gerade in seiner ungemeinen Effizienz. Man muß hinter die Kulissen sehen, um dafür einen Blick zu bekommen. Verlage wie Bertelsmann und Buchhandlungen wie Hugendubel sicherten ihre Existenz durchaus während die Gestapo Beschlagnahmungen bei ihnen durchführte. Autoren, Buchhändler und Verleger konnten mit dergleichen Eingriffe leben, solange das Geschäft dessen ungeachtet florierte. Die Vollstreckungsorgane konfiszierten selten die Erfolgstitel. Sie konfiszierten ab 1934 zunehmend aus schwer nachvollziehbaren Gründen. Wer Geschäfte mache wollte - und dafür standen die Zeiten - der druckte gar nichts anstößiges mehr. Was jetzt konfisziert wurde unterlag immer mehr einer dubiosen Willkür mit der man bequem leben konnte, wenn man sich der Patronage gut versicherte. Die führenden Bertelsmann-Manager besuchten das Propagandaministerium in regelmäßigen Abständen, um über Druck- und Papiergenehmigungen zu verhandeln, zu sichern, daß die Firma bei ihrer Arbeit die sie für Wehrmachtsstellen tat, von Schließungswellen unberührt blieb, und nicht anders taten es die Repräsentanten der kleinen Münchner Buchhandlung, die nebenbei ein wachsendes Verlagsgeschäft mit Humorvollem für den Soldaten an der Front betrieb.

Im Ernstfall reagierte man im großen Verlag wie in der kleinen Buchhandlung abgebrüht. Bertelsmann verlegte 1942 Bernhard Voigts Der Farmer Seeis-Rivier. Ein Kampf um Deutsch-Südwest. Die erste Auflage war 1936 bei Voggenreiter in Potsdam erschienen. Das Buch wurde nach dem Krieg ohne Umschweife von den Sowjetischen Behörden als nationalsozialistisches auf den neuen Index gesetzt. Kein Mensch verstand bei Bertelsmann 1942, warum dieses Buch Anfang 1943 Anstoß der nationalsozialistischen Behörden erregte. Eine Auflage war soeben in den Niederlanden angelaufen, der Auslieferungsleiter des Verlags, Wilhelm Beimdiek, der mit Matthias Lackas, dem wichtigsten Zwischenhändler über den sein Haus momentan arbeitete den Kontakt hielt, teilte diesem das Malheur mit. Beimdiek empfahl seinem Korrespondenzpartner, der dankbar für jedes Buch war, das der Verlag liefern konnte, die ganze angelaufene Ausgabe mit einer rückdatierten Rechnung anzunehmen und an eine öffentliche Institution - vielleicht nicht gerade bei einer Partei- oder Ministeriumsstelle oder der Waffen-SS - loszuwerden. Man würde so tun als sei der Handel vor dem Verbot über die Bühne gegangen, falls je eines der Exemplare einen anderen Verdacht erregte. Bei Bertelsmann würde man die Auflage überhaupt nicht verbuchen, womöglich könnte Lackas dem Mann der Auslieferung im Unternehmen ja unter der Hand eine Erkenntlichkeit für den eleganten Handel zukommen lassen.

Hans Grimm reagierte beunruhigt als seine Englische Rede 1943 sichergestellt und wenig später beschlagnahmt wurde und erkundigte sich beim Verlagseigner Mohn, wie er sich nun verhalten müsse und was all dies bedeute. Mohn gab seinerseits gelassen Antwort. Man hakte im Propagandaministerium nach, es geschehe all dies jedoch häufiger und gänzlich regulär. Die ersten Beschlagnahmungen Mitte der dreißiger Jahre hatten das Unternehmen noch zu neuer politischer Vorsicht gemahnt und dazu beigetragen, daß es zugunsten der weit profitableren belletristischen Produktion von aller Anstoß erregenden theologischen abließ. Was nach 1941 geschah dürfte im Verlag nur noch wie ein zu bewältigendes Tagesgeschäft mit charakteristischen doch unvermeidbaren Widrigkeiten genommen worden sein. Man wußte allzu wohl, daß nicht einmal das Propagandaministerium die Politik machen konnte, die es machen wollte. Eine Schrift konnte in einer regimeinternen Konkurrenz Anstoß erregen oder aus einem militärisch strategischen Belang zurückgehalten werden. Im Einzelfall genügte es, wenn eine Kundin in einer beliebigen Buchhandlung im Reich an einem Titel Anstoß nahm - die Gestapo ging der Sache nach, die Schrift wurde beim Verlag bis zu einer weiteren Entscheidung sichergestellt. Die Alliierten fanden, als sie zur Entnazifizierung schritten, ein Volk von Widerstandskämpfern vor. Auf dem Gebiet des Publikationswesens zahlte es sich nun aus, daß fast jeder die Hand dieses Staates irgendwann einmal unangenehm zu spüren bekam - regimekritische Unternehmen genauso wie Häuser, die nur noch mit regimekonformem Lesestoff zu handeln suchten.

Das soll die gewaltigen Zensuranstrengungen des Dritten Reichs nicht verharmlosen - es soll weit eher auf die Gefahr hinweisen, der sich das Regime selbst in seiner ausgeübten Willkür aussetzte. Oft schien da nicht eine Hand zu wissen, was die andere tat, man mußte sich damit arrangieren, daß man in einer Diktatur lebte und es gehört zu einer solchen, daß diejenigen besser überleben, die abgebrüht und selbstsicher mit ihr umgehen. Die vorangegangenen Bemerkungen müssen mehr jedoch noch im gesamten Feld der nach dem Krieg aufgekommenen Darstellungen Zweifel säen. Es besagt noch nichts daß man im Dritten Reich Zensurmaßnahmen erleiden mußte. Ikonen des Nationalsozialismus mußten dies und konnten sich ihres Lebens nicht letztlich sicher sein. Hans Grimm sah sich mit dem KZ gedroht, Herbert Volck geriet als Vorkämpfer des neuen Regimes in Mißkredit und ins KZ als er sich schließlich in dessen Machtkämpfe einmischte und eine Position für sich hoch oben im Spionageapparat einforderte, seine Schriften wurden nach jahrelanger Protektion durch das Regime 1942 verboten, er selbst scheint 1944 hingerichtet worden zu sein. Die Unternehmen des Widerstandes wird man daran erkennen, daß sie nicht jedes Geschäft mitmachten und wie der Verlag Christian Kaiser in München, kontinuierlich die Grenzen des Machbaren ertasteten. Es werden sehr wenige Unternehmen in diese Kategorie fallen, am eheste noch kirchliche, linke und jüdische Verlage, die früh von der Bildfläche verschwanden.

Jeder Versuch, das Ausmaß zu erfassen, in dem im Dritten Reich zensiert wurde, wird über die bestehenden Zensurlisten hinausgehen müssen, wird Verlags-, Ministerial- und Wehrmachtsakten vergleichen müssen - er wird im selben Moment Gefahr laufen, an einer behördlichen Praxis hängen zu bleiben, die in der Vermittlung ihres Wissens kontinuierlich vom Kaiserreich in die Gegenwart verläuft. Die bei weitem gravierendere Frage wird bleiben, in welchem Ausmaß im Dritten Reich Menschen ob ihrer Anschauungen und im Ernstfall ob riskanter Publikationen derselben unter Verfolgung gerieten. Das Dritte Reich benötigte dazu die Zensur überhaupt nicht. Es bleibt Hohn auf die, die von Sondergerichten wegen kleiner politischer Bemerkungen zum Tode verurteilt wurden, wenn sich auf rechtsnationalen Seiten heute bekennende "Revisionisten" unter Hinweis auf die sowjetischen Listen auszusondernder nationalsozialistischer Literatur (irrig als "alliierte" Listen dort ins Netz gestellt) als die eigentlichen Verfolgten ausgeben. Die pure Menge der Titel, die man zwischen 1946 und 1951 als aus den Bibliotheken und Buchhandlungen auszusondernde auflistete, ist am wenigsten ein Indiz für der Verfolgung jener, die heute diese Titel nach denselben Listen ganz wie jeder andere in aller Freiheit über das Zentralverzeichnis antiquarischer Bücher im Internet bestellen - ungeniert, und unverfolgt. Sich durch diese Lektüre in einer Mischung aus Schauder und Faszination an der Macht des untergegangenen Nationalsozialismus zu lesen, ist am Ende ein gänzlich fragwürdiger Genuß. Die nationalsozialistischen Selbstdarstellungen aus dem Dritten Reich hatten bereits seinerzeit kaum etwas mit der Realität zu tun, unter der sie sich umso blendender verkauften.

 

Literatur

Reinhard Wittmann, Hundert Jahre Buchkultur in München (München: Hugendubel, 1993).

Jan-Pieter Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich". Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder (München: dtv, 21995).

Friedländer Saul et al. (eds.), Bertelsmann im Dritten Reich (Gütersloh: Bertelsmann, 2002).

 

Ende